Fußball und Diskriminierung am Beispiel Leipziger Fußballfans

25.07.2009

Beitrag von Ulrike Fabich und Adam Bednarsky aus der chronik.LE Broschüre "Leipziger Zustände"
Das Fußballspiel ist die populärste Sportart in Deutschland. Neben dem hohen Freizeitwert fallen jedoch auch eine Reihe negativer Begleiterscheinungen auf – gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen gegnerischen Fans oder Fans und der Polizei, Rassismus und andere Diskriminierungen von Fans oder Spielern.

Der Soziologe Dembowski dazu: „Der Fußballsport liefert durch sein Identitätsangebot, starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und Bestrafung ein Präsentationsfeld für konventionelle Werte und autoritäre Charaktere. Er kann durch seine Strukturen und Institutionen autoritäre Charakterstrukturen, Nationalismus, Rassismus, Gewalt, Identitätsdenken und Sexismus verstärken.“ [1] Neuere Studien [2] belegen die Verschiebung von Diskriminierung und Gewalt aus den Profi-Ligen in die Amateurklassen. Phänomene, die bislang lediglich im Profibereich zu beobachten waren, halten zunehmend auch im Amateurbereich Einzug, beziehungsweise werden dort vermehrt wahrgenommen. Eine fortschreitende Kommerzialisierung, zunehmende Überwachung und Repression, sozialpädagogische und antirassistische Fanarbeit in den oberen Ligen und eine unzureichende Sensibilisierung im Breitensport-Fußball sind Ursachen dieser Entwicklung.

Die Situation in Leipzig

DIE STUDIE

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Die Autor*innen sind seit Jahren in antirassistischen Zusammenhängen aktiv und widmeten sich in ihrem Studium der Politikwissenschaften dem Thema „Fußball und Diskriminierung“.

Die komplette Studie kann bestellt werden: Fabich / Bednarsky: Fußball und Diskriminierung – Eine qualitative Studie am Beispiel Leipziger Fußballfans, Saarbrücken, 2008. Aktuell arbeiten sie in der „Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball“ (IVF), welche Diskriminierungen im Leipziger Fußball behandelt und promovieren an der Universität Leipzig.
Kontakt: rypp ät uni-leipzig.de

In Leipzig findet sich eine besondere Konstellation. Bis vor kurzem haben sich zwei Vereine, der 1. FC Lokomotive Leipzig und der FC Sachsen Leipzig, hauptsächlich die Aufmerksamkeit der Zuschauer *innen geteilt. Die Fans beider Vereine befanden sich, obwohl die Teams in unterschiedlichen Klassen spielen, also keine direkten sportlichen Konkurrenten sind, in ständiger Rivalität. Anders als in anderen Städten mit derart geteilter Fanschaft, beispielsweise Bayern München und 1860 München, BFC und Union Berlin, VfB Stuttgart und Stuttgarter Kickers u. v. a., hat sich in Leipzig eine politische Polarisierung entwickelt. Das heißt, zwei Vereine, mit oberflächlich betrachtet gleichen Voraussetzungen, produzieren völlig unterschiedliche Stadionstimmungen. Der FC Sachsen fiel bis 2008 durch besonderes Engagement der Fans gegen Diskriminierung auf, beispielsweise durch antirassistische Kampagnen wie „Wir-sind-Ade“, während die Anhänger*innen des 1. FC Lok immer wieder negative Schlagzeilen machten mit gewalttätigen Auseinandersetzungen, die nicht selten mit rassistischen und diskriminierenden Verhaltensweisen in Verbindung gebracht werden können. Die Fanfeindschaft zwischen Lokfans und Sachsenfans war und ist nicht nur auf das Ereignis Fußballspiel beschränkt, sondern führte auch völlig losgelöst von diesem Event zu zum Teil sogar körperlichen Auseinandersetzungen, wie im Jahr 2007 beim Überfall der Weihnachtsfeier von Sachsenfans durch Anhänger*innen von Lok.

Seit zum Saisonbeginn 2008/2009 ein Teil der Vereinsmitglieder und der Fans des FC Sachsen die immer noch vorhandene BSG Chemie reaktivierte und in den aktiven Spielbetrieb zurückführte, sich also vom FC Sachsen abwendete, hat sich die Stadionatmosphäre bei Sachsen erheblich verändert. Der Personenkreis, der vormals maßgeblich die antirassistische Arbeit im Verein vorangetrieben hatte, beispielsweise die sich selbst als antirassistisch definierende Ultra-Gruppe „Diablos“, wechselte zur BSG. Der Verein FC Sachsen hat seitdem alle diesbezüglichen Aktivitäten eingestellt. Die eher im rechten Gesinnungsfeld angesiedelte und in den letzten Jahren verstummte Fangruppe „Metastasen“ ist jetzt im Sachsenstadion wieder wahrnehmbar.

[img_assist|nid=1012|title=|desc=Fantransparent am 13.10.2002: "Wir sind Lokisten - Mörder und Faschisten" (Foto: chronik.LE Archiv)|link=none|align=right|width=400|height=223]Im Gegensatz dazu ist bei der Vereinsführung des 1. FC Lok eindeutig ein wachsendes Interesse an antidiskriminierendem Engagement und dem Versuch der Beeinflussung der Fanszene zu verzeichnen. Beispielsweise nahm Lok, im Gegensatz zum FC Sachsen, im Herbst 2008 nach 2006 und 2007 bereits zum dritten Mal an der jährlich stattfindenden „FARE-Aktionswoche“ [3] gegen Rassismus im Stadion teil. Die Vereinsführung des FC Sachsen hatte die Aktivitäten, erstmalig seit dem Jahr 2000, mit dem Verweis auf den „unpolitischen“ Anspruch des Vereins abgelehnt. Und das, obwohl der DFB unter Theo Zwanziger eindeutig Stellung bezieht und die Sportvereine zu zivilgesellschaftlichem antidiskriminierendem Einsatz aufruft. “Unpolitische Sportvereine sind die erste Anlaufstelle für Rechtsradikale”, erklärt Zwanziger.
Die Entwicklung der Situation in den Leipziger Stadien unter den veränderten Bedingungen bleibt abzuwarten. Es ist jedoch bereits deutlich geworden, dass die Stadionatmosphäre sowohl von oben, also von Seiten der Vereinsführung, als auch von unten, durch Fanaktivitäten, beeinflusst werden kann. Leider sind diese Einflüsse, wie im Fall des FC Sachsen, kein Garant für eine nachhaltige Veränderung.

Welche Diskriminierungsformen treten im Stadion auf?

Wir haben 2007/2008 eine Studie zum Thema „Fußball und Diskriminierung am Beispiel Leipziger Fußballfans“ durchgeführt. [4] Dazu wurden Fans und Fußballexpert*innen aus Leipzig befragt. Deren Aussagen, welche dieser Studie entnommen sind, werden im Folgenden fett dargestellt. Von Diskriminierungen sprechen wir, wenn eine Person oder eine Gruppe ohne sachlich gerechtfertigten Grund anders behandelt wird als andere oder wenn diesen beispielsweise bestimmte als negativ gebräuchliche Eigenschaften zugeschrieben und sie damit abgewertet werden.

Es können unter Fußballfans eine Reihe von Diskriminierungstypen beobachtet werden. Hierbei muss jedoch strikt zwischen unbewussten feindseligen Einstellungsmustern und einer manifesten, also auch öffentlich erklärten Menschenfeindlichkeit, die oft mit zerstörerischen Handlungen einhergeht, unterschieden werden. Wenn beispielsweise ein Fan das antisemitische „U-Bahn-Lied“ [5] gemeinsam mit anderen Fans im Stadion singt, muss er oder sie nicht zwangsläufig über ein gefestigtes neonazistisches Weltbild verfügen.

:„Es ist natürlich auch so, dass jeder, der sich im Stadion rassistisch oder homophob äußert, vielleicht nicht einmal grundlegend so eine Meinung wirklich vertritt.“

Die rassistischen Schmähungen sind eine der gängigsten Formen in den Stadien. Sie gehörten speziell in den neunziger Jahren zur akzeptierten Stadionfolklore in ostdeutschen Stadien.

:„Es war durchaus an der Tagesordnung, wie ich jetzt mal zu behaupten wage, in jedem ostdeutschen Fußballstadion, dass es Affen-Laute (...) gab.“

Mittlerweile ist die Sensibilität gegenüber Rassismus in den Fanszenen deutlich gestiegen. Rassistisch motivierte Schmähungen sind rückläufig, was aber nicht zwangsläufig eine nachhaltige Änderung der Einstellungsmuster der betreffenden Personen nach sich ziehen muss.

Eine ähnliche Diskriminierungsform ist der Antisemitismus. Eine Besonderheit dieses Diskriminierungstyps stellt die Konstruktion einer apokalyptischen Weltverschwörung dar, die „den Juden“ als Ursache des drohenden Weltuntergangs beschreibt. Nach dem eliminatorischen Antisemitismus im NS-Deutschland verlor der Antisemitismus nur seine Funktion als politische Ideologie – als diffuses, offiziell unterdrücktes Vorurteil existiert er weiter. So ist in Deutschland beispielsweise eine Erinnerungsabwehr gegenüber dem Holocaust zu beobachten. Die Wirkungsmacht von antisemitischen Einstellungsmustern bedarf nicht der physischen Anwesenheit von jüdischen Menschen. Das heißt, auch wenn in Leipzig die jüdische Gemeinde eine absolute Minderheit darstellt, wird sie dennoch als Gefahr empfunden. Auch Menschen, die nie Kontakt zu jüdischen Personen hatten, lehnen diese konsequent und ihrer Meinung nach begründet ab.

:„Für mich ist das eine Beleidigung, weil Juden für mich am Ende auch das Letzte sind. Schon aus der Geschichte heraus begründet, hasse ich Juden. Ich hasse genauso N-Wort. Da brauchst du keine Gründe für. Gründe findest du immer. Ich hab da jetzt nicht gleich ein Beispiel. Ich kenne eigentlich kaum Juden. Aber vom Hören und Sagen weiß ich, dass die schlecht sind.“

Ein derartig offen geäußerter Antisemitismus scheint lediglich noch im Fußballstadion legitim zu sein. Zumindest wurde er hier jahrzehntelang geduldet. Häufige antisemitische Sprechchöre sind „Berlin, Berlin – Judenberlin“ oder das „U-Bahn-Lied“.

Aus einer Reihe weiterer identifizierter Diskriminierungstypen sollen zwei Typen, der Sexismus und die Homophobie, herausgegriffen werden.
Auch wenn der Frauenanteil unter den Aktiven und in den Fankurven allmählich steigt, ist das deutsche Fußballstadion auch weiterhin ein Ort, in der eine männliche Vorherrschaft besteht. Als Erklärungsmuster dienen den Fans zumeist sportspezifische Argumente:

:„Fußball ist schon ein sehr körperbetonter und, na ja, aggressiver Sport. Und da würde das Bild zu Frauen eben nicht passen. Durch die Ursprünge und Entwicklung ist der Fußball eben ein typischer Männersport.“

[img_assist|nid=1011|title=|desc=Frauen werden im Stadion meist auf ihren Köroer reduziert (Foto: chronik.LE Archiv)|link=none|align=right|width=250|height=192]Der Fußball gilt in seinen Ursprüngen als klassischer Arbeitersport. Kraft und Ausdauer gelten als zentrale Grundbedingungen für das Spiel. Gesellschaftlich werden diese Attribute als typisch männlich definiert, wodurch eine „natürliche“ Ausgrenzung von Frauen abgeleitet wird. Die Beliebigkeit derartiger Konstruktionen belegt der Blick in Richtung USA, wo Soccer als ein klassischer Sport für Frauen definiert wird. Die jeweilige Auslegung, ob Fußball männlich oder weiblich ist, wird also gesellschaftlich ausgehandelt und produziert geschlechtsbezogene Rollenzuschreibungen.

In seinen Formen lässt sich Sexismus in offenen (von verbaler Artikulation bis zu sexueller Gewalt) und versteckten Sexismus differenzieren. Während offener Sexismus von einigen Interviewpartnern als problematisch eingeschätzt wurde, äußerte keiner der Befragten Bedenken gegenüber Formen des versteckten Sexismus, also die Reduzierung von Frauen auf Körper und Sexualität.

Daraus folgt, dass der Sexismus im Fußball dazu führt, dass ein öffentlicher Raum wie das Fußballstadion, der quasi für alle zugänglich ist, für Mädchen und Frauen zu einem unsicheren Ort wird. Frauen können hier ihre eigene Identität nicht ausleben aufgrund einer – wenn eine Akzeptanz in der (Fan-)Gruppe erreicht werden soll – notwendigen Fixierung auf männliche Wertmaßstäbe und Verhaltensweisen im Stadion. Weiblichen Fußballfans werden die notwendige Emotionalität und das tatsächliche Interesse abgesprochen.

Im Gegensatz zu Homosexualität in anderen gesellschaftlichen Bereichen ist die gleichgeschlechtliche Liebe ein großes Tabu im Fußball. Bislang outete sich in Deutschland kein aktiver Profi. Besonders paradox erscheint das Spannungsverhältnis zwischen offen artikulierter, wenn auch häufig in ihrer Bedeutung abgeschliffener Homophobie und der ritualisierten und emotionalen Körperlichkeit unter den Fans auf den Rängen. Bei vielen Gelegenheiten umarmen sich wildfremde Männer und drücken so ihre Zugehörigkeit zum Verein aus. Im Stadion kann Homophobie noch weitgehend ungestört und unreglementiert entfaltet werden.

:„‚Judenschweine’ benutze ich nicht, aber ‚Schwuler’, das kann schon passiert sein. Der Schierie ist schnell mal ein Schwuler. (...) Na und manchmal hast du ja wirklich einen, der schwul aussieht, mit tuckigen Haaren oder pink Fußballschuhen, da kann das schon passieren.“

In der Studie konnte eine Hierarchisierung, also eine unterscheidende Bewertung von Diskriminierungen festgestellt werden. Während Rassismus und Antisemitismus stark wahrgenommen und mehrheitlich abgelehnt wurden, ist dies im Falle der Homophobie und des Sexismus kaum oder gar nicht der Fall. In diesen Bereichen fehlen weitgehend die Sensibilität und das Problembewusstsein der Fans.
Wie zeigen sich die jeweiligen

Diskriminierungstypen im Fußball?

Die medial bekannteste Variante einer diskriminierenden Handlung ist die Anwendung physischer Gewalt. Die Mehrzahl von direkten körperlichen Angriffen zwischen zwei Fangruppierungen ist nicht politisch oder diskriminierend (im Sinne der oben geschilderten Definition) motiviert. In erster Linie handelt es sich hierbei um Gewalt, die mit der internen Abgrenzungslogik des Fußballspiels zwischen den Anhänger*innen der verschiedenen Vereine begründet wird. Ein herausragendes Beispiel für einen gewaltsamen rassistischen Übergriff im Fußball ereignete sich im März 2006, als Fans des Halleschen FC den damaligen Spieler des FC Sachsen Leipzig Adebowale Ogungbure angriffen.

[img_assist|nid=1013|title=|desc=Lok-Fans bildetetn am 05.02.2006 ein Hakenkreuz (Foto: chronik.LE Archiv)|link=none|align=right|width=250|height=241]Eine verbreitete Artikulationsform von Diskriminierungen sind die optisch transportierten Schmähungen, die in offene oder subtil-codierte getrennt werden können. Transparente, Kleidung, Fanaccessoires, Graffitis oder auch Kfz-Kennzeichen zeugen von diskriminierenden Einstellungsmustern. Beispiele für offene Schmähungen sind die von Lok Leipzig-Fans beim Derby gegen den FC Sachsen (13. Oktober 2002) gezeigten Schriftrollen mit den Aufschriften: „Wir sind Lokisten – Mörder und Faschisten“ und „Rudolf Heß – Bei uns rechts außen“. Auf subtil-codierter Ebene sind Kleidungsartikel der Marke „Thor Steinar“ oder Nummernschilder wie L-OK 88 zu nennen. Eine für Deutschland neue Qualität wurde am 5. Februar 2006 während eines A-Jugendspiels des 1. FC Lok erreicht. Fans postierten sich in ihrem Fanblock derart, dass sie mit ihren Körpern ein menschliches Hakenkreuz bildeten.

Die dritte Artikulationsform ist die verbale, wofür Beispiele bereits genannt wurden.

Haben Rassismus und Diskriminierung ein Heimspiel im Fußball?

Es bleibt die Frage zu beantworten, was Fußballfans motiviert, sich anderen Individuen oder Gruppen gegenüber diskriminierend zu verhalten.
Vielfach ist die Schmähung von Fans und Spielern des gegnerischen Teams zu beobachten. Dennoch konnte kein homogenes Normensystem der Fußballfans festgestellt werden. Während einige Interviewpartner*innen die Schmähung des Gegners als akzeptabel werteten, gab es andere Fans, die sich lediglich auf die positive Unterstützung der eigenen Mannschaft beschränkten. Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass im Fußballstadion, zumindest bezüglich diskriminierender Äußerungen und Handlungen, keine eigenen Normen gelten und deshalb Diskriminierungen nicht zwangsläufig Teil der sozialen Welt Fußball sein müssen. Die beobachteten unterschiedlichen Handlungsmuster sind eher ein Abbild der Gesamtgesellschaft und nicht ein fußballspezifisches Phänomen.

Diskriminierungen in den Stadien treten vergleichsweise gehäuft auf oder werden dort verstärkt wahrgenommen. Wir konnten ein Zusammenspiel mehrerer von den Interviewpartner*innen genannter Ursachen, sowohl sportspezifischer als auch sportübergreifender Art, feststellen. Ein sportspezifisches Erklärungsmuster der Befragten ist die These, dass der Leistungssport an sich diskriminierend und gewalttätig ist. Der Fußball lebt von einer ausgeprägten Konkurrenz und einem Leistungsgedanken des absoluten Drangs, gewinnen zu wollen. Dies kann sich auf die Zuschauer*innen übertragen und in deren Gebaren widerspiegeln.

Als sportübergreifende Faktoren, die neben dem Stadion auch in der Gesamtgesellschaft wirken können, wurden unter anderem gruppenspezifische Phänomene (Konstruktion einer Wir-Gruppe bei gleichzeitiger Abwertung der Anderen), die gezielte Einflussnahme von Nazis und die Zuschauerstruktur („…ein Sport der Unterschicht, (…) der kommt von der Straße“) genannt.
Wenn über Diskriminierungen im Fußball gesprochen wird, darf nie ausgeklammert werden, dass diese soziale Welt nur einen Teil unseres Bezugssystems darstellt und demnach alle sich dort zeigenden Probleme gesamtgesellschaftlicher Natur sind.
Einflussnahme durch neonazistische Parteien
Besonders die NPD, aber auch andere neonazistische Parteien wie beispielsweise die mittlerweile verbotene FAP, versuchten und versuchen, im Fußballumfeld Interessenten zu rekrutieren. Dies geschah besonders Anfang der Neunziger massiv und wirkt bei Lok nach Aussagen mehrerer Befragter bis heute nach. Die NPD suchte in einem ursprünglich unpolitischen Umfeld wie dem der Hooligans über die Gewaltaffinität Zuspruch und fand diesen teilweise auch.

:„… zumindest Anfang der Neunziger war das so. (…) Die NPD hat ja auch direkt versucht, in diesem Umfeld zu werben. Vielleicht diejenigen, die noch zurückgeblieben sind aus dieser Zeit und der NPD nahe stehn, vielleicht dass die halt immer noch zum Fußball gehen und deshalb dieser Anteil, der latent ausländerfeindliche Anteil, höher ist, als das in anderen Sportarten der Fall ist.“ „… die Rechten sind schon zu Demos [Montagsdemos, d.A.] gegangen und so. Da kamen gleich viele von der NPD und haben denen Fähnchen in die Hand gedrückt. Die aus dem Fußballumfeld waren politisch eher weniger motiviert, die sind nur hingegangen, weil klar war, jetzt können wir uns mit den Bullen kloppen. Na ja, und wie der Ossi damals war, dem hat man einen Kuli in die Hand gedrückt und ’nen Aufkleber und da war der glücklich. Egal, von wem es kam. Und die NPD war sehr aktiv.“

Es lässt sich vermuten, dass Gruppen, die zu Gewaltanwendungen neigen, attraktiv für rechte Beeinflussungen sind, im gleichen Maß, wie ein Zusammenhang zwischen Aggressivität und Diskriminierung feststellbar war. Jedoch kann nicht behauptet werden, dass die Akzeptanz von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung bestimmter Ziele allein ein Hinweis auf rechte Einstellungsmuster wäre. Mehrere Mitglieder der „Diablos“ beschreiben zum Beispiel auch Gewaltneigungen in ihrer Gruppe. Aber auch in Fankreisen, die nicht zu Hooliganismus neigen, fanden gezielte Versuche der Politisierung durch Mitglieder neonazistischer Parteien statt. So wurde beispielsweise von einem Fan, der Verbindungen in die rechtsextreme Kameradschaftsszene besitzt [6], eine Fahne „Lokfans gegen links!“ bis zu ihrem Verbot durch den Verein bei Spielen mit besonders hoher Zuschauerresonanz aufgehängt. Selbiger verteilte außerdem rechtes Propagandamaterial. Dies führte dazu, dass ihm ein generelles Stadionverbot erteilt wurde und er zur persona non grata erklärt wurde.

:„Er kommt nicht, um sich normal das Spiel anzusehen, sondern der kommt nur, um Politik im Stadion zu machen. (…) Er verteilt Flyer oder provoziert mit seiner Fahne ´Lokfans gegen links´. Ein anderes Mal gab es Stress bei einer Ordnerfeier (…) Da traf sich eher die Hau-Drauf-Fraktion, und auf einmal sitzt da der Typ. Das hat der Verein mitbekommen und die Weihnachtsfeier wurde aufgelöst.“

Mehrere Befragte beschrieben, dass die versuchte Einflussnahme heute viel offener erfolgt als vor ein paar Jahren.

:„Sicher gab es zur Wendezeit schwarz-weiß-rote Fahnen. (…) Früher war es mehr so unter der Hand, vielleicht im engen Freundeskreis. Heute wird es halt offen gezeigt. Das denke ich mal, ist der Unterschied. Vor ein paar Jahren wurde es versteckt und heute wird es offen gezeigt.“

Dies könnte sich, wie bereits beschrieben, bei offensiverer Vereinspolitik allerdings wieder ändern.

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[1] G. Dembowski: Strukturelle jugendpolitische Sozialarbeit mit Fußballfans am Beispiel des Duisburger Fanprojekts. Diplomarbeit im Fachgebiet Soziokulturelle Arbeits- und Theoriefelder, GH Duisburg, 1998, S. 18.
[2] Vgl. G. A. Pilz et al.: Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball, Schorndorf 2006. Und G. Dembowski: Rassismus: Brennglas Fußball, in: W. Heitmeyer: Deutsche Zustände. Folge 5. Frankfurt/ M.: Suhrkamp, 2007.
[3] FARE (Football Against Racism in Europe/ Fußball gegen Rassismus in Europa) ist eine Organisation, die in Zusammenarbeit mit der UEFA und der FIFA seit 1999 europaweit alle Formen von Diskriminierungen im Fußball bekämpft und dazu ein in 37 Ländern aktives Netzwerk aufgebaut hat.
[4] U. Fabich / A, Bednarsky: Fußball und Diskriminierung. Eine qualitative Studie am Beispiel Leipziger Fußballfans, Saarbrücken, 2008.
[5] „Eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir, von XYZ bis nach Auschwitz, eine U-Bahn bauen wir!“
[6] Vgl. Antifaschistisches Broschürenkollektiv Leipzig: Leipzig ganz rechts, Leipzig, 1995, S. 57.

Zuletzt aktualisiert am 10.10.2009