Neonazismus

Nach "Brandis": Prozesse gegen Neonazis

14.03.2010

Nach dem Angriff auf Anhänger*innen und Spieler des Fußballvereins Roter Stern Leipzig am 23. Oktober 2009 bei einem Auswärtsspiel in Brandis laufen seit Ende Februar 2010 die Verhandlungen gegen die Täter. Die ersten Prozesse gegen fünf in Untersuchungshaft sitzende Angeklagte werden am Amtsgericht in Leipzig geführt; weitere Prozesse finden am Amtsgericht Grimma statt. Chronik.LE dokumentiert die Berichte von Prozessbeobachter*innen.
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1.) Görlitzer über zwei Jahre in Haft

Am 25. Februar 2010 fand der erste Prozess im Fall Brandis gegen den Görlitzer Neonazi Erik K. statt. K. muss nun für zwei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft warf K. in ihrer Anklage­schrift vierfache gefährliche, sowie einmal versuchte gefährliche Körperverletzung vor. Nach Abschluss der Beweis­aufnahme forderte der Staatsanwalt zwei Jahre und vier Monate Haft. Selbst der Verteidiger des Görlitzers plädierte für eine Haftstrafe, nicht über einem Jahr allerdings.

Richterin Pisecki sagte am Ende der über neunstündigen Verhandlung, es gäbe wenig, was man dem Ange­klagten zugute halten könne; allein, dass er nicht leugnete, ein großes Holzstück geworfen zu haben, rech­nete sie ihm an. Strafverschärfend fielen die schweren Verletzungen der Betroffenen ins Gewicht, die von den Tätern in Kauf genommen wurden und bei einem Opfer zu schweren, lebenslangen Schäden an einem Auge und im Gesicht führten. Nicht zuletzt führte die Richterin die Wirkung des Angriffs auf den ganzen Verein und das Umfeld des Roten Sterns an. Hinzu kam, dass K. erst zwei Wochen zuvor zu sechs Monaten Haft, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, verur­teilt wurde. Nach dem EM-Finale 2008 hatte er in Großen­hain am Marktplatz, im Alkoholrausch, wie er sag­te, Polizisten angegriffen. Auch dort war er in einer Gruppe Neonazis unterwegs, deren Gesinnung er aller­dings nicht gekannt haben will. Pisecki sprach in ihren Ausfüh­rungen auch von „asozialem“ Verhalten: Der Angriff in Brandis sei keine spontane Tat gewesen, die auch noch am hellichten Tag verübt wurde. General­präventive, d.h. die Allgemeinheit abschreckende Aspekte, spielten bei der Festsetzung des Strafmaßes ebenso eine Rol­le.

Der Prozess fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Beim Betreten des Gerichtsgebäudes mussten sich die Zuschauer*innen einer Kontrolle unterziehen, ein weiteres Mal vor dem Verhandlungssaal. Wie am Flughafen wurden Taschen durchleuchtet, Beamte scannten und betasteten die Personen nach metallischen Gegenständen, Flaschen mussten ebenso draußen bleiben. Der Angeklagte, der seit Ende November in Gör­litz in Untersuchungshaft saß, wurde in Handschellen in den Saal geführt. Nachdem der Staatsanwalt die Anklage verlesen hatte, nahm der Beschuldigte Stellung und wurde von der Richterin befragt.

Er sagte, er habe am 23. Oktober einen alten Kumpel und dessen Freundin besucht. Sie hätten am Abend gesoffen und wollten dann am Tag der Tat ihren Kater an der Luft auskurieren, gingen also zum Fußballspiel. Er habe vor­her nicht gewusst, gegen wen der FSV Brandis an diesem Tag spielen würde. Sie seien zu Fuß zum Sportplatz gegangen und stellten sich am Nebentor an einer Schlange an. K. bestand bis zum Schluss darauf, Eintritt be­zahlt zu haben. Eine Eintrittskarte habe er jedoch nicht erhalten. Auf dem Platz habe er sich mit seinen Kumpels unterhalten; weder habe er Böller gehört, noch sei ihm die Bewaffnung und teil­weise Vermum­mung der Leute aufgefallen. K. sagte aus, dass der Angriff klar von den Nazis ausging und die Anhänger_in­nen des Roten Sterns zurückwichen. Er hatte auch Handschuhe angezogen, weil er eine „Frost­beule“ sei. Das glaubt ihm die Richterin natürlich nicht, zumal es an dem Tag eher warm war. Er sei anfangs ste­hen geblieben und erst später zum Geschehen, was sich auf dem Fußballfeld abspielte, gelaufen. Das be­gründete er mehrmals damit, dass er "absolut neugierig" gewesen sei. Das Holzstück, wel­ches er gut er­kennbar auf einem Foto wirft, sei in seine Richtung geflogen und er habe es nur zurückgewor­fen, getroffen habe es niemanden. Warum er das getan hat, wußte er nicht. Danach wollte er runter vom Feld und weg vom Geschehen, zufällig sei er dann auf einen weiteren der mut­maßlichen Täter, Gabriel S. aus Leipzig, getroffen. Es folgte ein kurzer Schlagabtausch zwischen den beiden Männern. Dass sich da zwei Angreifer prügelten, sorgte im Nachhinein für Verwunderung, lässt sich wohl aber damit erklären, dass die beiden jeweils nicht aus dem Muldental kommen - und sich so möglicherweise nicht kannten. Das behauptete auch K.; al­lerdings will er auch alle anderen Beteiligten nicht gekannt haben. Nachdem K. dann den Tatort verlassen hatte, ging er in ein Brandiser Hotel, in dem die Freundin seines Kumpels arbeitet. Dort wurden er und weitere mutmaßliche Täter später von der Polizei kontrolliert, welche die Personalien der Verdächtigen aufnahm.

Im Verlaufe der Verhandlung wurde mehrmals nach der Zugehörigkeit des Angeklagten zur Neonaziszene gefragt. So gab K. zu, den „Boot Boys Görlitz“ anzugehören, eine "ganz normale Jugendgruppe", wie er sagt [1]. Auf mehrere Nachfragen räumte er dann doch ein, eher der rechten Szene nahe zu stehen und Kontakt zu anderen Nazis zu haben [2]. Auch nahm er an Demos teil, zuletzt am 17. Oktober 2009 in Leipzig. Der Angeklagte besaß in seiner Wohnung mehrere Waffen, zur Zier­de wie er sagte.

Zehn Zeugen sagten während der Verhandlung aus, darunter Betroffene vom Verein Roter Stern Leipzig, der Pressesprecher, der Vorsitzende sowie zwei Ordner des FSV Brandis, ein Pressefotograf, ein anwesender Po­lizist sowie der Ermittlungsleiter der Polizeidirektion Grimma. Im Großen und Ganzen bestätigten die Zeugen den bereits durch Medienberichte bekannten Verlauf der Dinge. Die Rolle des gastgebenden Vereins bleibt jedoch offen; Verbindungen des Vereins zu mutmaßli­chen Tätern und der örtlichen Neonaziszene weiterhin im Dunklen. Am Tag des Übergriffs war zunächst eine Gruppe von zehn bis fünfzehn Personen, die von den Verantwortli­chen des FSV Brandis als Neonazis identifiziert wurden, durch ein Nebentor auf den Sportplatz gelassen worden. Die Vereinsver­treter waren der Meinung, mit diesen Personen zurecht zu kommen. Die Gruppe sollte auf die extra ge­räumte rechte Seite des Sportplatzes gehen; Mit den Worten "die Dummen kommen" habe der Stadionsprecher deren eintreffen angekündigt. Die zweite Angreifer-Gruppe sei dann über den Zaun gestürmt. Die Nazis haben sich dann erst auf dem Sportplatz mit herumliegenden Gegenständen bewaffnet. Interessant wurde es beim letzten Zeugen: Sandro M. hatte in seiner Vernehmung bei der Polizei zunächst die bekannte Version der Hergänge bestätigt. Zur Verhandlung sagte er dann das komplette Gegenteil aus: alles sei friedlich gewesen, ihm sei nichts besonderes aufgefallen, er hätte nichts gesehen oder gehört und auch niemanden ge- oder erkannt. Ein Anwalt der Nebenklage machte deutlich, dass M. Kontakte in die Szene der mutmaßlichen Täter hat: Er verlas Namen von mutmaßlich Beteiligten, nun kannte der Zeuge M. plötzlich doch einige - bis auf den An­geklagten. Prozess-Beobachter*innen vermuten, dass mutmaßliche Täter massiven Druck auf M. ausübten. M. wirkte demnach sehr aufgeregt und schwitzte mit rotem Kopf. Er ist bei folgenden Prozessen erneut als Zeuge geladen.

In seinem Plädoyer stellte der Staatsanwalt fest, dass sich alle Vorwürfe, bis auf den K. nicht persönlich zuzurechnenden Armbruch eines RSL-Anhängers, umfassend bestätigt haben. Auch die Nebenkläger-Vertre­ter*innen schlossen sich dieser Darstellung an. K. hatte während des Prozesses nur zugegeben, was ihm anhand von Fotos zweifelsfrei nachgewiesen wer­den konnte und was demzufolge nicht zu leugnen war. In seinem Schlusswort sagte Erik K., er wolle nachdenken und nach der Haft alles anders machen; Eine Entschuldigung bei seinen Opfern blieb jedoch aus. Das bedauerte sein Anwalt und führte dies auf die große Kulisse zurück. Richterin Pisecki verurteilte K. letzlich zu zwei Jahren und zwei Mo­naten Haft. Seine laufende Bewährung muss nun von dem Gericht wider­rufen werden, welches die Strafe ausge­sprochen hat. Es ist davon auszugehen, dass das geschieht und sich somit die Haftstrafe von K. um die vormals ausgesprochenen sechs Monate verlängert.

K.s Verteidiger legte innerhalb der Frist Rechtsmittel gegen das Urteil ein.
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[1] ein Artikel der Sächsischen Zeitung beweist jedoch den neonazistischen Hintergrund der Gruppierung.
[2] Seine Nähe zu den "Freien Kräften" in Görlitz wurde hingegen nicht besprochen.

Zuletzt aktualisiert am 26.01.2022