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Redebeitrag "Kein Schlussstrich"

13.07.2018

Am Mittwoch dem 11. Juli 2018 wurde in München das Urteil gegen die fünf Angeklagten im NSU-Prozess gesprochen. Schon länger fordern Angehörige und Aktivist*innen: Kein Schlussstrich. Wir schließend uns diesem Slogan an und fordern eine lückenlose Aufklärung über die Taten und das Netzwerk des NSU sowie staatliche Verstrickungen. Anlässlich der Urteilsverkündung fanden in diversen Städten Kundgebungen und Demonstrationen statt. Wir haben auf der Kundgebung in Leipzig einen Redebeitrag gehalten welchen wir an dieser Stelle dokumentieren wollen.

Liebe Unterstützer*innen gegen das Vertuschen,

wir erinnern heute den aus rassistischer Motivation ermordeten Menschen. Wir erinnern an die Stigmatisierung der Opferfamilien durch die Ermittlungsbehörden. Und wir erinnern an die systematische Vertuschung der Verstrickungen verschiedenster Verfassungschutzämter in den NSU-Komplex.
Vor allem aber sollte uns klar sein, dass das heutige Urteil wenig bedeutet.

Weder wurde das umfassende Unterstützungsnetzwerk durchleuchtet und angeklagt noch wurde der Verfassungsschutz abgeschafft und Mittäter zur Rechenschaft gezogen.
Vor allem aber auch setzt dieses Urteil weder Naziterror noch rassistisch motivierten Angriffen ein Ende.
Jahre nach der Bekanntwerdung des Nationalsozialistischen Untergrundes bilden sich in Sachsen terroristische Zusammenschlüsse wie die Freie Kameradschaft Dresden, die sogenannte Gruppe Freital oder die Old School Society.

Auffällig bleibt die Vertuschung. So auch im Fall der Gruppe Freital. Deren aktive Untersützung durch einen Polizisten bleibt bis heute angeblich ungeklärt.
Wieder einmal zeigt sich Verleugnung und Vertuschung rassistisch motivierter Gewalt als Leitlinie der Ermittlungs- und Öffentlichkeitsarbeit von Ermittlungsbehörden, Kommunen und Politiker*innen.
Als im vergangenen Juli in Torgau aus nächster Nähe Schüsse auf einen Geflüchteten abgefeuert wurden, versuchte die Leipziger Polizei dies geradezu verstecken. -
Werden Gewaltverbrechen sonst prominent und ausführlich an oberster Stelle von Pressemitteilungen platziert., finden sich zu dem Angriff lediglich sechs Zeilen – direkt vor den Meldungen zu Verkehrsunfällen. Der Fall wird zur Zeit vor dem Landgericht Leipzig verhandelt. Ob der mutmaßliche Täter verurteilt wird scheint zurzeit ungewiss.

Wieder einmal zeigt sich: das Problem heißt nicht nur Rassismus – es besteht auch in seiner Verleugnung. Allzu viele Akteuer* innen sehen einen Erfolg darin, diese Verhältnisse zu vertuschen oder zu verharmlosen.
Wir sagen: auch durch diese staatlichen Akteur* innen und deren Wegducken entstehen erst die Räume und gesellschaftlichen Verhältnisse in denen Naziterrorist*innen handeln und ungestört leben können.
Gerade deshalb bleibt es unerlässlich diese Zustände zu thematisieren und zu intervenieren. Es ist an uns dort zu unterstützen und nachzubohren, wo andere verleugnen.

Das gilt auch für Leipzig. Denn das umfassende Unterstüzungsnetzwerk des NSU reicht bis hierher. Wenige Meter von hier entfernt, in der Großen Fleischergasse 4 hatte die einschlägig bekannte Securityfirma PRO GSL jahrelang ihren Sitz. Einer der beiden Geschäfstführer Oliver R. oder Tobias B. verfügte laut Aussage eines Zeugen im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags über Schlüssel zum Zwickauer Büro der Baufirma von Ralf Marschner. Ralf Marschner war über Jahrzehnte Schlüsselfigur der sächsischen Neonaziszene und zehn Jahre V-Mann des sächsischen Verfassungschutz.
Über Jahre arbeitet Uwe Mundlos unter einem Tarnnamen für Ralf Marschners „Marschner-Bau-Service-Zwickau“. An drei NSU-Mordtagen wurden Fahrzeuge bei einem Zwickauer Verleih unter Aliasnahmen gemietet.
Zudem sagte der Zeuge im Untersuchungsausschuss, dass der Leipziger Geschäftsführer von PRO GSL Oliver R. ihn zur Herausgabe Marschners Computer gedrängt haben soll. Auf diesem Computer wurde später die Melodie aus dem Bekenner*innenvideo des NSU gefunden.
Ralf Marschner wurde von der Bundesanwaltschaft nie befragt.
Der zweite Geschäfstführer von PRO GSL Tobias B wird vermutlich im Rahmen der im August beginnenden Prozesse gegen die Angreifer von Connewitz angeklagt sein.

Abschliessend verlesen wir einige Ereignismeldungen rassistisch motivierter Zustände in Leipzig und Umgebung.

23.April 2018 Neonazistische Aufkleber in Kleinzschocher
An mehreren Verkehrsschildern in der Rolf-Axen-Straße in Leipzig-Kleinzschocher werden neonazistische Aufkleber angebracht. Auf diesen ist u.a. "Nazi-Kiez" zu lesen, zusammen mit einer schwarz-weiß-roten Fahne. Diese wurde ab 1933 bis 1945 von den Nationalsozialisten als Abgrenzung zur Flagge der Weimarer Republik verwendet. Auf einem weiteren Aufkleber ist "Wir wissen wer der Babo ist" mit einem Konterfei von Adolf Hitler. In Kleinzschocher kommt es seit einiger Zeit vermehrt zu neonazistischen Aktionen.

28.April 2018 Rechte Aufkleber am Bon Courage-Büro
Am Samstag werden an der Beratungsstelle des zivilgesellschaftlichen Vereins Bon Courage in Borna mehrere rassistische Aufkleber angebracht. Auf einem ist in deutscher und arabischer Sprache "Kehrt in die Heimat zurück! Sie braucht euch!" zu lesen. Auf einem weiteren "Elterinnen, Kinderinnen, Mensch*innen, Vereinigt euch GEGEN die VerGENDERung der deutschen Sprache". Mit Letzterem soll gegen eine sensible Sprache welche alle Geschlechter einschließt polemisiert werden.

20.Mai 2018 Neonazi-Konzert in Staupitz
In Staupitz findet ein neonazistisches Konzert mit ca. 230 Teilnehmer*innen statt. Die angekündigten Bands sind "AggroKnuckle" (Japan), Barricades" (Sachsen-Anhalt), "S.P.Q.R." (Italien), "The Hawks" (Japan) und "Sachsonia" (Sachsen).
In Staupitz wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Neonazi-Konzerte veranstaltet

31.Mai 2018 Rassistischer Angriff in Delitzsch
In Delitzsch greifen fünf junge Männer im Alter von ca. 15 bis 17 Jahren drei nicht-deutsche Jugendliche im Alter von 13, 14 und 15 Jahren an. Einer der Täter beleidigt die drei Geschädigten. In dessen Folge kommt es zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Dabei erleiden die drei Jugendlichen Verletzungen, zudem wird ihre Kleidung beschädigt. Die Polizei sucht nach den bisher unbekannten Tätern.

Gegen das Vertuschen und Geschehen rassistischer Gewalt hilft nur unser aller Achtsamkeit und Intervenieren. Deshalb meldet jegliche Formen diskriminierender Angriffe und Äußerungen, die ihr in Leipzig, dem Landkreis Leipzig und Nordachsen mitbekommt bei chronik.LE. Wir sind dankbar um jede Zuarbeit und Unterstützung.

Gegen das Vertuschen!
Vielen Dank für eure Aufmerksamtkeit.

Zuletzt aktualisiert am 19.07.2018