Heilsteine und Reichsbürgerideologie. Besuch auf einer Esoterikmesse

22.01.2023

von Florian Teller

An einem nasskalten Januarsonntag vor einem Leipziger Veranstaltungshaus fallen mir die gelben Schilder der „Naturheiltage & Esoterikmesse“ sofort ins Auge. Drinnen präsentieren gut 30 Aussteller*innen ihre Produkte. Angeboten werden Klangschalen, Aktivwasser mit Lichtmodul, Energiedecken, Edelsteine, Amulette, Nahrungsergänzungsmittel, eine Unmenge Bücher und vieles mehr. Für einen geringen Einstiegspreis von meist um die 10 Euro können kleinere Dienstleistungen ausprobiert werden: Kartenlegen, Aura-Fotografie, Karma-Analyse oder Handlesen. Die Messe füllt sich schnell, die Besucher*innen sind überwiegend weiblich und altersmäßig gemischt. In drei Vortragsräumen bieten Aussteller*innen längere Einführungen in ihr Metier an.

 

Der Barnum-Effekt

Die Kartenlegerin, die zu „Bewusstseinserweiterung und Transformation“ im Raum Kristall angekündigt ist, erscheint sympathisch und bodenständig. Sie lässt uns Interessierte eine Karte ziehen, die eins unserer Probleme symbolisieren soll. Sie interpretiert die verschiedenen Motive: Die Sitznachbarin sei zu spontan, dem Autor stünde die eigene Logik im Weg und der Mann in der zweiten Reihe sei zu ruhelos. In einer zweiten Runden werden dann Karten gezogen, die den Lösungsweg anzeigen sollen: Man soll das alte Wissen der Vorfahren abrufen, alles ordentlich durchdenken oder sich mehr aufs Bauchgefühl verlassen. Die meisten Besucher*innen nicken zustimmend und scheinen sich von der Beschreibung ihrer Probleme und Lösungen angesprochen zu fühlen.

Dass solche Aussagen über die eigene Persönlichkeit oft zutreffend erscheinen, liegt am sogenannten Barnum-Effekt. Pia Lamberty und Katharina Nocun beschreiben in Gefährlicher Glaube, dass Texte von Kartenleger*innen oder Persönlichkeitstest am Grundbedürfnis nach einer positiven Selbstwahrnehmung andocken. So werden positive Eigenschaften betont oder Kritik geäußert, die keine ist. Wer hört, er sei sehr verwurzelt oder sie würde alles genau durchdenken, kann geschmeichelt sein. Zudem sind derlei Aussagen so vage, dass sie auf viele Menschen und Lebenslagen zutreffen. Wer wünschte sich nicht, manchmal spontaner zu sein oder sich selber weniger im Weg zu stehen?

 

Spiritualität kostet

Solche Sätze höre ich an einigen Ständen. Mit geschlossenen Augen lasse ich mir Energiedecken umlegen, um die für mich richtige zu erfühlen. Sie fühlen sich alle gleich an, also erspürt die Verkäuferin Probleme bei mir. Ich würde mich zu sehr von anderen verbiegen lassen und meine intergenerationellen Konflikte seien ein Thema bei mir. Problembeschreibungen, die vermutlich fast jede*r bei sich schon mal gehört hat. Ob eine mehr als 100 Euro teure Decke die Probleme löst, ist allerdings fraglich. Schnell wird klar: Wer es mit der ganzheitlichen und alternativen Lebensverbesserung ernst meint, muss tief in die Tasche greifen. Mögen die Schnupperangebote günstig sein, eine umfassende, oder wie es in der Szene heißt, ganzheitliche Behandlung, kostet oft ein Vielfaches.

 

Feinstoffliche Chirurgie

Wenn die angewandten Verfahren nicht anschlagen, dann sind sie nicht etwa wirkungslos, sondern der*die Patient*in ist nicht bereit, die nötigen Veränderungen anzugehen. So formuliert es zumindest der Geistheiler im Raum Rubin. Er könne jede Krankheit auf der feinstofflichen Ebene behandeln, sogar per Fernheilung. Seien die Ursachen dort gelöst, verschwände die Krankheit. Außer eben der*die Behandelnde lasse das nicht zu. So werden die Gründe für das Nichtfunktionieren den Hilfesuchenden überantwortet. Menschen, die eine schwerwiegende Diagnose erhalten und sich an Vertreter*innen sogenannter Alternativmedizin wenden, müssen dafür nicht nur viel Geld bezahlen, sondern auch mit einer Verschlimmerung ihres Gesundheitszustands rechnen. Eine Krebserkrankung kann sich irreversibel verschlechtern, weil auf eine Therapie nach Leitlinien der wissenschaftlichen Medizin verzichtet wird. Der Geistheiler auf der Messe sieht die Ursachen aller Krankheiten in „unverarbeiteten Erlebnisse, Schocks oder Mustern“. So äußerte sich auch Ryke Geerd Hamer, Initiator der „Germanischen Neuen Medizin“. Tumore würden schrumpfen, wenn ein innerer Prozess gelöst sei. Mehrere Patient*innen Hamers starben aufgrund seiner (Nicht)Behandlung, er saß deswegen mehrmals im Gefängnis. Wunderversprechen schmerzfreier und einfacher Behandlungen finden sich an mehreren Ständen der Messe.

Anastasia, Verschwörungsideologie und Gartenkräuter

In der Mitte der Halle lädt ein großer Büchertisch des Artha Buchverlags zum Umrunden und Stöbern ein. Zwischen Gesundheitsratgebern, Comics über nordische Mythologie und Tipps zum Gartenbau finden sich eine Vielzahl an verschwörungsideologischen und antidemokratischen Titeln. In den Büchern von Wladimir Megre beispielsweise werden neben dem fantastischen Leben der Anastasia antisemitische Verschwörungserzählungen ausgebreitet. Jüd*innen agierten dort als hinterlistige und wohlhabende Verschwörer*innen. Anhänger*innen dieser Ideologie haben in der Bundesrepublik mehr als 20 Gemeinschaften gegründet, die ökologische Landwirtschaft betreiben. Vor dem Hintergrund der vermittelten Ideologie der Bücher finden sich in der Anastasia-Bewegung wenig überraschend viele Reichsbürger*innen, Esoteriker*innen und Menschen mit eindeutig rechtsextremer Vergangenheit wieder.

Mit einem halben Dutzend Bücher ist der rechtsextreme Esoteriker Jan Udo Holey, besser bekannt unter seinem Pseudonym Jan van Helsing, vertreten. Seit den 1990er Jahren verfasste Holey eine Vielzahl verschwörungsideologischer und antisemitischer Bücher. Zwei seiner Werke über Geheimgesellschaften mussten in Deutschland wegen Volksverhetzung vom Markt genommen werden. Mit seinen Publikationen und dem Verkauf angeblich lebensverlängernder Produkte ist Holey eine feste Größe im Bereich der rechten Esoterik. Ebenfalls findet sich auf dem Tisch Reichsbürgerliteratur und ein Werk von Traugott Ickeroth. Er vermischt Reichsbürgerideologie mit dem aus den USA stammenden QAnon-Glaube. Während die einen die Bundesrepublik weiterhin als besetzten und von fremden Mächten gesteuerten Staat ansehen, glauben QAnon-Anhänger*innen an eine globale Verschwörung, die Kinder gefangen nehme und foltere, um aus ihnen ein Verjüngungsserum zu gewinnen. Ickeroths Wohnung wurde im Zuge der Razzien bei Reichsbürger*innen im Dezember 2022 durchsucht. Ihm und anderen Beschuldigten wird vorgeworfen, einen gewaltsamen Umsturz geplant zu haben.

Ideologisches Zwillingspaar

Am Büchertisch wird deutlich, warum Esoterik ein Einstieg sein kann in menschenfeindliche Ideologien und antisemitische Verschwörungserzählungen. Wer mit einem Buch mit Aromatherapie beginnt, hat danach ein Werk voll rechtsextremer Passagen in Reichweite. Esoterikmessen können Einsteiger*innen weiter in den Bann rechter Esoterik ziehen. Da Esoterik und Verschwörungsideologie ein Zwillingspaar sind, ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken teilen, sowie Wissenschaft, Politik und staatliche Institutionen misstrauen, stoßen die obigen Titel hier voraussichtlich auf interessierte Leser*innen. Wer Unbehagen über eine (scheinbar) unüberschaubar gewordene Welt empfindet, findet hier einerseits Halt und andererseits die konkrete Benennung derjenigen, die vermeintlich für das Übel in der Welt verantwortlich sind. Esoterik ist nicht automatisch rechtsextrem. Doch scheinbar unpolitische Ideologiefragmente wie Natürlichkeit, Ganzheitlichkeit, Ahnenkult oder das Guruprinzip sind anschlussfähig an menschenverachtende Positionen und Gruppen. Diese Anknüpfungspunkte sollten benannt und über sie aufgeklärt werden.

Keine harmlose Spinnerei

Es ist mittlerweile Nachmittag. Die Messe füllt sich merklich. Viele der esoterischen Angebote laden zum Schmunzeln oder harmlosen Ausprobieren ein. Besonders attraktiv können sie für Menschen sein, die Halt oder Orientierung in einer unübersichtlichen Welt suchen, die schwierige berufliche oder private Situationen zu meistern haben oder gesundheitliche Hilfe benötigen. Sie finden sich dann oft in einem kostspieligen Strudel aus Seminaren und „Behandlungen“ wieder, aus denen sie sich schlecht lösen können, da die (Er)Lösung mit jeder weiteren Session zum Greifen nahe scheint. Nicht jede*r der Besucher*innen wird nach dem Besuch der Messe falschen Gesundheitsversprechen aufsitzen, all ihr Erspartes ausgeben oder in rechte Gedankenwelten abgleiten. Aber Esoterik ist ebenso wenig eine harmlose Spielerei. Nicht zuletzt die Coronapandemie war ein Treiber, der Esoterikgläubige weiter radikalisierte, aber auch menschenfeindliche Abgründe ihrer sonst als harmlosen Spinnerei abgetanen Ansichten offenbarte.

Florian Teller

Der Text erschien zuerst bei der Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz.

Zuletzt aktualisiert am 23.01.2024