Die Extremismusklausel ist keine Demokratieklausel

30.03.2011

In den Kreisen zivilgesellschaftlicher Initiativen gegen Neonazismus, Rassismus und Diskriminierung herrscht Unverständnis, Sorge und Empörung: Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) und der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) wollen die Vergabe staatlicher Fördergelder von der Zustimmung zu einer „Extremismusklausel“ – in der Sprachregelung des Familienministeriums „Demokratieklausel“ – abhängig machen. Wer Geld für seine Arbeit gegen Nazis und Rassisten haben möchte, muss neben einem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (fdGO) der BRD auch einen Passus unterschreiben, der die Überprüfung von Projektpartner*innen auf fdGO-Treue hin verlangt – notfalls durch Einholung von Informationen beim Verfassungsschutz. Die Gegensätze scheinen unversöhnlich: Die Inis sprechen von Misstrauenserklärung, Bespitzelungsaufforderungen und „Stasi“-Methoden. Die Minister*innen erwidern, wer ein Problem mit solcherlei Erklärung habe, „demaskiert sich selbst“ und stellen die Klauselgegner damit pauschal unter Extremismusverdacht. Doch was steckt wirklich hinter dem Streit um das fdGO-Bekenntnis und was ist das eigentliche Problem?

Eine Welle des Protests

Ins Rollen kam die Auseinandersetzung um die Extremismusklausel mit der Verleihung des Sächsischen Demokratiepreises im November 2010. Als eine Art Testballon für Schröders Klausel auf Bundesebene wollte das Sächsische Innenministerium die potenziellen Preisträger*innen vor der Verleihung zur Unterzeichnung eines Papiers verpflichten, indem diese ihre Verfassungstreue und die ihrer Projektpartner*innen verbindlich bezeugen. Zum Eklat kam es bei der Verleihung am 9.11. in der Dresdner Frauenkirche, als einer der Preisträger, der Pirnaer Verein Akubiz e.V. öffentlichkeitswirksam die Annahme des Demokratie-Preises verweigerte. In einer Erklärung hieß es: „Die Aufforderung an uns, unsere Kooperationspartner*innen auszuleuchten, erinnert eher an Methoden der Stasi und nicht an die Grundlagen einer Demokratie“. Die Ablehnung erregte bundesweites Medieninteresse. Zahlreiche Vereine und Einzelpersonen der Demokratiearbeit (u.a. auch chronik.LE) unterstützten die Erklärung. In einer von Sozialwissenschaftler*innen initiierten Online-Petition unterschrieben bis heute mehr als 1200 Personen gegen „Generalverdacht und Bekenntniszwang“ durch die Extremismusklausel. Am 1. Februar 2011 schalteten zahlreiche Initiativen der Demokratiearbeit aus Protest ihre Webseiten ab und begaben sich in einen Streiktag. Mehr als 1000 Protestschreiben wurden an Familienministerin Schröder und an Bundeskanzlerin Merkel versendet.

Politik und Protest mit Verwaltungsmitteln

Mittlerweile wird deutlich: Die Kritik an der Extremismusklausel schießt sich ein gegen das Misstrauen, dass die staatliche Verwaltung den z.T. seit vielen Jahren in der Demokratiearbeit tätigen Projekten entgegenbringt. Zur Unterfütterung ihres Protests stützt sich die Zivilgesellschaft auch auf Rechtsgutachten. So erstellte der (eher liberal geprägte) Verfassungsrechtler Ulrich Battis von der Humboldt-Universität Berlin im Auftrag von Träger*innen wie dem Kulturbüro Sachsen und der Aktion Sühnezeichen ein Gutachten, indem er die Verfassungsmäßigkeit der Erklärung, insbesondere der Teile, die die Partnerüberprüfung verlangen, in Frage stellt. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommt darüber hinaus zu dem Schluss, dass auch der erste Teile, das Bekenntnis zur fdGO, unverhältnismäßig für den angestrebten Zweck der Fördermittelentscheidung sei. Seit der Veröffentlichung dieser Gutachten haben sich inzwischen einzelne Länderparlamente und -verwaltungen öffentlich von der Klausel distanziert (so z.B. in NRW) oder haben wie das Land Berlin sogar Klage eingereicht.

Beschränkte Demokratievorstellungen

So nützlich diese juristische Schützenhilfe von Seiten der Rechtswissenschaftler und Verwaltungen auch scheint, so wenig dringt sie an den Kern des Problems vor. Schlimmer noch: sie birgt auch die Gefahr der Verkürzung der Auseinandersetzung auf formalistische Fragen. Die „Extremismusklausel“ von Schröder und Ulbig ist der Versuch auf Ebene der Verwaltung Politik zu machen. Der völlig unklare politische Kampfbegriff „Extremismus“ und die schwammige fdGO, die Demokratie auf ein rechtsstaatliches Verfahren reduziert, werden als Instrumente ins Werk gesetzt, unbequeme politische Vereine und Personen zu diskreditieren und nachhaltig aus dem Bereich zivilgesellschaftlicher Entwicklung und Teilhabe auszuschließen. Dabei fragt die Extremismuslogik keinesfalls nach tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Gefährdung der Demokratie. Schon der „Anschein“ der Teilnahme womöglich „linksextremistischer“ Kräfte an einem Projekt (der u.a. durch eine völlig fragwürdige Verfassungsschutzlogik produziert wird) reicht aus, um von der finanziellen Förderung ausgeschlossen zu werden. Träger*innen sollen mit dieser Praxis in „gute“ Akteure (die fest mit beiden Beinen auf dem Boden der fdGO stehen, ohne jegliche Kritik an bestehenden Herrschaftsstrukturen, am Wirtschaftssystem oder strukturellen sozialen und ethnischen Ausschlussmechanismen) und „verdächtige“ Akteure unterteilt werden (auf denen wegen ihrer grundlegenderen Gesellschaftskritik der Linksextremismusvorwurf lastet). Letztendlich beschränkt die Extremismusklausel somit schon mit ihrem geforderten Bekenntnis zur fdGO den als zulässig erachteten politischen Raum derart, dass das Urversprechen der Demokratie – die gleichberechtigte Teilhabe aller; das Streben denjenigen Gehör zu verschaffen, die bislang keine Stimme hatten – nicht mehr eingelöst werden kann.

Ein konservatives Politik-Manöver

Den Befürworter*innen der Extremismusklausel geht es nicht um eine Verteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde, wie sie behaupten. Sie selbst sind mit ihrem beschränkten und formalistischen fdGO-Verständnis ein Problem für die demokratische Entwicklung in diesem Land. Mit dem Vehikel des Extremismusansatzes geht es einzig und allein darum, dem politischen Gegner mithilfe von Verwaltungsbestimmungen Stöcke zwischen die Beine zu werfen. Antidiskriminierender und antirassistischer Arbeit sowie Projekten gegen Neonazismus, die von einer grundlegenden Gesellschaftskritik nicht absehen, wird das Leben schwer gemacht. Sollten Schröder und Ulbig hart bleiben, und damit Vereine wie Akubiz künftig von staatlichen Geldern ausgeschlossen bleiben, gefährdet die konservative Regierung in Sachsen und im Bund mittelfristig auch die letzten Überbleibsel demokratischer Kultur, insbesondere in ländlichen Gegenden Ostdeutschlands. Leider bestätigt die Art und Weise des Protests derzeit indirekt die der Klausel zugrunde liegende Logik. Statt der Forderung „Hört auf uns zu misstrauen!“, dem auch immer ein „wir stehen doch auf dem Boden der fdGO“ mitschwingt, wären die Demokratieinitiativen gut beraten, sich nicht auf die undemokratische, formalistische Ebene der „Extremismus“-Jäger*innen einzulassen, und die Klausel als das zu kritisieren was sie ist: ein unlauteres politisches Manöver einer ultra-konservativen Regierung zur Bekämpfung ihrer Gegner*innen.

Zuletzt aktualisiert am 30.03.2011