Strukturen der extremen Rechten in und um Leipzig

24.04.2022

1. Einleitung

In der Stadt Leipzig und im Umland existiert eine extrem rechte Szene, die organisatorisch und ideologisch verschiedenartig aufgestellt ist. Neben personellen Kontinuitäten zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie sich fortlaufend sowohl im öffentlichen Auftreten als auch im Inhalt dem Zeitgeist anpasst. Auch eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Verbündeten und strategischen Partnern besteht. 

Eingangs ein knapper Überblick über den Aufbau des Dossiers:

Parteien: 

  • Trotz der Irrelevanz der NPD, des III. Wegs und anderer neonazistischer Parteien in Leipzig – spätestens seit dem verpassten Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag 2014 und der darauf folgenden Aufgabe des Parteizentrums in Lindenau – treten die Jungen Nationalisten (JN), der Jugendverband der NPD, in den vergangenen Jahren vor allem unter Tarnlabels auf. Andere Parteien sind außer in Form von Aufklebern kaum noch öffentlich wahrnehmbar, wobei es zuletzt eine Neugründung der Partei Neue Stärke mit einem Ableger in Leipzig gibt.

  • Die AfD konnte seit dem Einzug in den Stadtrat 2014 und durch Mandatsgewinne der Kreisverbände einen Teil der organisatorischen Leerstelle extrem rechter Mobilisierung in Stadt und Land füllen. Ihre Mandatsträger*innen weisen eine Nähe zum formell aufgelösten extrem rechten Flügel um Björn Höcke auf. Im Rahmen der Proteste gegen die Corona-Hygiene-Maßnahmen versuchten Politiker*innen der AfD, davon zu profitieren, und ähnlich wie schon bei der Migration 2015 durch Rassismus und antisemitische Verschwörungstheorien ihre Wähler*innenschaft zu mobilisieren.

  • Eine ähnliche Funktion haben die Wahlvereinigungen, die bei vergangenen Kommunalwahlen Mandate erringen konnten. Diese werden bzw. wurden von Personen angeführt, die z. B. Verbindungen ins neonazistische Hooligan-Milieu haben oder eine einschlägige Vergangenheit in der NPD sowie in Kameradschaften vorweisen können. Ihre Strategie, in unverdächtig wirkenden Wählervereinigungen mit „bürgerlichem“ Anstrich aufzutreten, wird jedoch von ihrer politischen Biographie und ihrer Ideologie konterkariert.

Parteiungebundene extreme Rechte:

  • Eine neonazistische Kleinstgruppe Vereinigte Nationalisten Leipizg versucht in jüngster Zeit über Propaganda sowohl auf Social-Media als auch mit Graffiti und Schmierereien auf sich aufmerksam zu machen. Dabei suchen ihre Mitglieder die Nähe zur etablierten Neonaziszene, zeigen aber auch Präsenz auf den Demonstrationen gegen die Corona-Hygiene-Maßnahmen.

  • Die Identitäre Bewegung tritt seit Kurzem wieder mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung. Im Gegensatz zum personalisierten Auftreten der vergangenen Jahre agieren sie nun wieder wie zu Beginn ihrer Aktivität in Leipzig klandestiner.

  • Leipziger Burschenschaften bilden eine Scharnierfunktion zwischen der extremen Rechten, dem Bürgertum und der parlamentarischen Arbeit. Auf der Grundlage ideologischer Kontinuität, z. B. dem Bekenntnis zum Deutschen Kaiserreich und zum „Deutschen“ Volk, gelingt es, durch Seilschaften in die extreme Rechte und durch Nebentätigkeiten die Infrastruktur für rechten Aktivismus zu stellen. Besonders hervor tritt die Burschenschaft Germania.

Subkultur:

  • Für Leipzig und Umgebung ist seit Jahren eine Melange aus Fußball, Gewalt und Männlichkeit prägend, die sich vor allem in der Fanszene von Lok Leipzig abbildet. Das ideologische Dach dieser fatalen Mischung ist der Neonazismus, der sich dort bei Fangruppen beobachten lässt.

  • Rechte und rechtsoffene Kampfsport-Gyms stellen die Infrastruktur für das Training gewaltbereiter Neonazis und verbinden Akteure aus unterschiedlichen rechten politischen Szenen. Zudem werden dort Jugendliche herangeführt.

  • Rechtsrock als subkultureller Ausdruck des Neonazismus hat sich in einer Konzertlocation in Staupitz in der Nähe von Torgau etabliert. Dort finden jährlich bis zu zehn Konzerte mit internationaler Beteiligung statt.

  • Verlage, Versandhandel und andere Unternehmen bieten ein Auskommen für neonazistische Akteure und eine fortwährende Finanzierung der extrem rechten Szene. Dort treten altbekannte Neonazis als Unternehmer auf, aber auch Akteure aus der verschwörungsideologischen Szene haben ihre medialen Plattformen eingerichtet. Zudem ist Leipzig der Sitz von Medienagenturen, die der extremen Rechten zuarbeiten.

Pandemieleugner*innen:

  • Zuletzt widmen wir uns der Bewegung der Pandemieleugner*innen. Zunächst als neues Phänomen ab 2020 aufgrund ihres heterogenen Auftretens schwierig einzuordnen, traten dort nach kurzer Zeit bekannte rechte Akteure auf, die an Verschwörungstheorien anknüpfen und politisch ihren Nutzen daraus ziehen wollen. Bei größeren Demonstrationen kam es zu Ausschreitungen, die vor allem von Neonazis vorangetrieben wurden, abseits davon, aber sich nicht distanzierend, waren Hippies und Alternative zugegen.

Geeint werden die genannten Akteure durch ihre menschenfeindliche Ideologie, die Menschen aufgrund ihrer Erscheinung, ihrer Sexualität oder ihrer Herkunft abwertet oder durch eine Verschwörungsideologie, hinter der ein antisemitisches Weltbild steckt. Neben Strukturen, die explizit neonazistisch sind und sich dazu bekennen, gibt es auch solche, die oben genannte Versatzstücke extrem rechter Ideologie verbreiten und ihr Handeln davon angetrieben ist.

Antifaschistische Gegenwehr und Engagement haben über die Jahre zu einem Zurückdrängen im Raum Leipzig geführt, sei es durch Gegendemonstrationen, Recherche, Aufdeckung und Skandalisierung extrem rechter Verbindungen in Stadt und Land sowie antifaschistischer Selbstorganisation. Dennoch geht von der extremen Rechten auf parlamentarischer Ebene als auch im öffentlichen Raum eine fortwährende Gefahr aus, die sich in unserer Dokumentation abbildet. 

Dieses Dossier ist eine Zusammenfassung und der Versuch, jüngste Entwicklungen darzustellen, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Vielmehr ist es gebündelte Information, die als Ausgangspunkt für weitere Recherchen und für die politische Auseinandersetzung dienen soll. Nicht alle Informationen, die wir hier notieren, stammen aus unserer Dokumentation. Wir greifen auf eine Vielzahl von Informationen zurück, die erst durch Menschen möglich werden, die sich an der extremen Rechten stören und versuchen, aktiv gegen sie vorzugehen.

2. Parteien

2.1. AfD

Die Alternative für Deutschland hat seit ihrer Gründung 2013 eine Radikalisierung durchlaufen, die sich unter anderem im Austritt bekannter Führungspersönlichkeiten (Bernd Lucke 2015, Frauke Petry 2017, Jörg Meuthen 2022) ausdrückt. Der formal aufgelöste Flügel hat insbesondere in den ostdeutschen Landesverbänden eine große Unterstützer*innenbasis. Insgesamt ist die Partei der extremen Rechten zuzuordnen: Sie vertritt einen völkischen Nationalismus, die Leugnung des menschengemachten Klimawandels und Verschwörungsideologien werden von vielen Anhänger*innen geteilt. Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch positive Äußerungen zum historischen Nationalsozialismus auf.

Seit 2018 ist die AfD auf allen Ebenen des parlamentarischen Systems vertreten: im Europaparlament, im Bundestag, in allen Landtagen sowie in vielen kommunalen Parlamenten. Zur letzten Kommunalwahl im Mai 2019 erreichte die AfD in Leipzig 14,9 Prozent, im Landkreis Leipzig 21,4 Prozent sowie in Nordsachsen 19,4 Prozent. In den beiden Flächenlandkreisen stellte die AfD nicht überall Kandidat*innen auf und konnte daher nicht alle gewonnenen Mandate besetzen. In mehreren Gemeinden traten AfD-Mitglieder nach der Wahl aus oder legten ihr Mandat nieder.

Bei der letzten Bundestagswahl im September 2021 zogen mit Edgar Naujok (Landkreis Leipzig) und René Bochmann (Nordsachsen) zwei Direktkandidaten in den Bundestag ein, gutplatzierte Listenplätze hatten dagegen keine Chance (Siegbert Droese, Listenplatz 3, Direktkandidat Leipzig II; Christoph Neumann, Listenplatz 9, Direktkandidat Leipzig I, Kandidat zur Oberbürgermeisterwahl 2020). Bochmann (Listenplatz 15), seit 2016 Mitglied der AfD und Kreisvorsitzender in Nordsachsen, erklärt seine Hinwendung zur AfD in der Leipziger Volkszeitung 2021 mit der Teilnahme an Pegida- und Legida-Demonstrationen. Naujok (Listenplatz 16) ist seit 2016 AfD-Mitglied und seit 2017 Kreisvorsitzender des AfD-Kreisverbands Landkreis Leipzig.

Neben dem Dauerthema Migration befasst sich die AfD in der Region Leipzig intensiv mit der Corona-Pandemie und den staatlichen Schutzmaßnahmen – welche allesamt abgelehnt werden – sowie aktuell dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Zur Unterstützung der Proteste der Pandemie-Leugner*innen melden lokale AfD-Abgeordnete teilweise Veranstaltungen an und bewerben diese. Besonders präsent ist hierbei der Landtagsabgeordnete Jörg Dornau (Landkreis Leipzig, Stadtrat Rötha), der für seine Wahlkämpfe mehrfach Führungspersönlichkeiten des Flügels wie zum Beispiel Björn Höcke und Andreas Kalbitz einlud. Nachdem bereits im Dezember 2021 Pandemie-Leugner*innen vor dem Wohnhaus der sächsischen Ministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Petra Köpping (SPD) demonstriert hatten, unternahm Dornau im Januar 2022 einen erneuten Versuch. Der Objektschutz der Polizei verhinderte den Aufmarschversuch.

2.2. NPD/JN

Die 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste noch bestehende Neonazi-Partei in Deutschland. Von 2004 bis 2014 war die NPD im Sächsischen Landtag vertreten. Nach ihrem Ausscheiden aus diesem Landesparlament und dem in Mecklenburg-Vorpommern nahm die Bedeutung der Partei auch auf kommunaler Ebene ab. Im zweiten Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde ihr 2017 zwar bescheinigt, aufgrund der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus und dem Streben nach einer homogenen „Volksgemeinschaft“ eindeutig verfassungsfeindlich zu sein. Trotzdem wurde das Verbot der Partei aufgrund ihrer aktuellen Bedeutungslosigkeit verworfen.

Derzeit hat die NPD noch jeweils ein Mandat im Kreistag von Nordsachsen und im Stadtrat von Trebsen (Landkreis Leipzig) inne. In Trebsen kam sie bei der Kommunalwahl 2019 immerhin noch auf knapp 10 Prozent der Stimmen. Im Leipziger Stadtrat war die NPD von 2009 bis 2019 erst mit zwei, dann mit einem Abgeordneten vertreten. Der 2014 gewählte NPD-Stadtrat und Kreisvorsitzende Enrico Böhm wurde jedoch bereits 2016 aus der Partei ausgeschlossen und agierte seitdem unter dem Label „Wir für Leipzig“. Außerdem ist er in neonazistische Propaganda-Unternehmen wie „Lokis Truhe“ und dem Schelm-Verlag involviert.

Die Jungen Nationalisten (JN), die Jugendorganisation der NPD, agiert in der Region Leipzig dem Anschein nach unabhängig von der NPD, deren Strukturen in der Region faktisch nicht mehr existent sind. 2018 erfolgte die Umbenennung von „Junge Nationaldemokraten“ zu „Junge Nationalisten“, doch nutzt die NPD-Jugendorganisation in Leipzig verschiedene (Tarn-)Labels, mit denen sie vor allem in den sozialen Netzwerken präsent ist.

Dazu gehört u. a. der Account „Aktionsblog Leipzig“. Das selbsternannte „Schaufenster für nationale Aktivitäten in Leipzig und Umgebung“ verbreitet seit April 2020 bei Twitter und Instagram fortlaufend neonazistische Propaganda. Auf dem Instagramprofil wird auch auf den Telegramkanal „Messestadtaktivisten“ verwiesen. Seit etwa 2020 tritt der JN-Ableger in Leipzig unter dem Namen „Messestadtaktivisten“ auf. Als offen wahrnehmbare Gruppe von Neonazis nehmen sie auf den Demonstrationen der „Bürgerbewegung Leipzig“ sichtbar mit eigenem Transparent teil. Aufkleber-Motive mit dieser Bezeichnung zeigen das Völkerschlachtdenkmal und einen Löwen als Stadtwappen von Leipzig. Ein weiteres Label der JN ist seit 2018 die Kampagne „Schülersprecher.info“. Dabei handelt es sich um den ziemlich erfolglosen Versuch, Schüler*innen mit einer Art „Schulhof-CD 2.0“ (im mp3-Format zum Download) zu politisieren.

In jüngster Vergangenheit versuchten Kader der JN die Proteste gegen die Corona-Hygiene-Maßnahmen zum Gewinnen neuer Anhänger*innen zu nutzen. So nahmen mehrere Aktivisten an montäglichen Versammlungen der „Bürgerbewegung Leipzig“ teil. Paul Rzehaczek aus Eilenburg, der bis April Bundesvorsitzender der JN war, hielt dort eine Rede, JN-Mitglieder standen an der Spitze des Demonstrationszuges auf dem Leipziger Ring. Ihr Banner zeigte – in Anlehnung an „Fridays for Future“ – den Schriftzug „Montags für Deutschland“ und warb für die „Schülersprecher“-Kampagne der NPD-Jugend.

Der Personenkreis, der an diesen Aktionen beteiligt ist, bleibt überschaubar. Zwar treten die Aktivisten der JN regelmäßig in Erscheinung, um Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu schaffen – so versuchten sie einen bereits abgesagten Projekttag eines Demokratievereins in Eilenburg zu stören oder legten Kränze am Volkstrauertag in Wurzen nieder –, scheinen aber außerhalb ihrer bestehenden Gruppe, keine merkliche Wirkung zu entfalten. Beim JN-Bundeskongress im April 2022 wurde Paul Rzehaczek als Vorsitzender der Organisation durch Sebastian Weigler aus Braunschweig abgelöst. Offenbar hat Rzehaczek an dem Treffen in Thüringen gar nicht teilgenommen. Welche Rolle er nun in der JN bzw. in der NPD spielt, ist unklar.

2.3. Der III. Weg

Die neonazistische Kaderpartei III. Weg wurde im Jahr 2013 gegründet. Sie ist strukturell in sogenannte Stützpunkte gegliedert, zu denen in Sachsen die Stützpunkte „Vogtland“, „Westsachsen“, „Mittelland“ und „Mittelsachsen“ gehören. Die Stadt Leipzig und das Umland sind dem „Mittelland“ zugeordnet. Ideologisch orientiert sich der „III. Weg“ am historischen Nationalsozialismus, wobei ein über Blut definierter, ethnisch-homogener Volksbegriff zentral ist. Neben einem antidemokratischen, nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Weltbild vertritt sie u.a. ein revisionistisches Geschichtsbild. Dies zeigt sich anhand verschiedener Aktivitäten, wie etwa die Organisation einer Gedenkveranstaltung anlässlich der 150 Jahre zurückliegenden Gründung des Deutschen Reiches am Bismarckturm in Leipzig-Lützschena oder dem Aufstellen von Kerzen am „Volkstrauertag“ in Wurzen in Gedenken an gefallene deutsche Soldaten. Darüber hinaus umfassen die Aktivitäten der Partei in den Regionen Leipzig, dem Landkreis Leipzig und Nordsachsen die Anmeldung und Teilnahme an Demonstrationen, wie zuletzt 2021 bei einer Corona-Demonstration in Colditz. Hauptsächlich lassen sich allerdings Propagandadelikte verzeichnen, die im Zusammenhang mit dem III. Weg stehen und das Verteilen neonazistischer Flyer und Sticker umfassen. Im Vergleich zu anderen Orten wie Plauen oder Zwickau ist die Partei im „Stützpunkt Mittelland“ jedoch kaum aktiv.

Im Jahr 2021 trat die Partei in Bayern und Sachsen das erste Mal zur Bundestagswahl an und kam hierbei auf ein Wahlergebnis von weniger als 0,1 Prozent. Dem ging die Gründung des Landesverbands Sachsen voraus, um so die Voraussetzungen für die Teilnahme an Landtags- und Bundestagswahlen zu erfüllen. Beisitzer des Landesvorstands ist der Leipziger David Dschietzig, der zuvor für die NPD im Jahr 2009 kandidierte und 2016 am Angriff auf Connewitz beteiligt war.

2.4. "Neue Stärke"

Im Frühjahr 2021 gründeten Erfurter Neonazis, von denen einige zuvor Mitglieder des III. Wegs waren, die Partei Neue Stärke. Diese ist sowohl programmatisch als auch hinsichtlich ihres Logos und der Parteifarben stark am III. Weg ausgerichtet. Die Partei, die aus dem „Neue Stärke Erfurt e.V.“ hervorging, hat neben Magdeburg, Gera und Rheinhessen auch Ableger für Leipzig und Chemnitz angekündigt. Aktuell scheinen der „Neuen Stärke“ in Leipzig vorrangig Personen aus dem gewaltbereiten Neonazimilieu zuzuordnen zu sein. Diese tauchten bereits bei mehreren Demonstrationen gegen die Corona-Pandemie auf.

2.5. Weitere Wahlvereinigungen

Die Freie Liste für Geithain kam bei der Stadtratswahl 2019 auf 15,1 Prozent und stellt seitdem drei Stadträte in Geithain: Manuel Tripp, Hugo Rudolph und Robert Schallock. Tripp saß zuvor bereits zehn Jahre für die NPD im Geithainer Stadtrat. In der überregionalen Nazistruktur „Freies Netz“ vertrat er den Geithainer Ableger „Freies Netz Geithain“. Aus dem Umfeld des „Freien Netz Geithain“ wurden mehrere Gewalttaten und unzählige Propagandadelikte begangen. Mutmaßlich aus Angst vor einem Verbot des „Freien Netzes“ firmierte das „Freie Netz Geithain“ ab 2012 als Stützpunkt der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ mit Manuel Tripp als Vorsitzendem. Tripp war 2014 zudem Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Leipziger Land. Die „Freie Liste für Geithain“ gibt sich bürgerlich und trat 2019 mit Thesen an, die für die Kommunalpolitik unspektakulär sind. Nach seiner Heirat heißt er mittlerweile Kruppe.

Als Rechtsanwalt vertrat Tripp/Kruppe u. a. die NPD und fungiert aktuell im Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte aus dem linken Spektrum am Oberlandesgericht Dresden als Nebenklagevertreter – zusammen mit Martin Kohlmann aus Chemnitz und Frank Hannig aus Dresden. Beide Anwälte vertreten häufig Angeklagte aus dem rechten Spektrum (u. a. die rechtsterroristische „Gruppe Freital“ und den Mörder von Walter Lübcke) und sind wie Tripp/Kruppe kommunalpolitisch in ihren Städten tätig.

Das Neue Forum für Wurzen (NFW) kam bei der Stadtratswahl 2019 auf 11 Prozent und stellt seitdem drei Stadträte in Wurzen: Christoph Mike Dietel (bis Mai 2020), Benjamin Brinsa und Lars Vogel. Für Dietel rückte im Juni 2020 David Kramer nach. Als „sachkundigen Einwohner“ hat das NFW den früheren NPD-Stadtrat Matthias Möbius in einen der drei Ausschüsse sowie in die Gesellschafterversammlung der städtischen Gebäude- und Wohnungsgesellschaft geschickt. Der 2018 gegründete, namensgleiche Verein hat sich Ende 2021 aufgelöst, die Fraktion im Stadtrat gibt es weiterhin. Der Fraktionsvorsitz hat mehrfach gewechselt, seit Ende 2021 ist David Kramer Vorsitzender. Das NFW kooperiert eng mit den zwei AfD-Stadträt*innen und unterstützt bei der Oberbürgermeister*innen-Wahl 2022 den AfD-Kandidaten Bodo Walther aus Markranstädt.

Inhaltlich profilierte sich das „Neue Forum für Wurzen“ vor allem durch die Hetze gegen den zivilgesellschaftlichen Verein „Netzwerk für Demokratische Kultur“ (NDK). Mit einer Petition (mit dem Titel „Das NDK kaltstellen, ihm die Kohle entziehen“ vom April 2018) und zahlreichen Anfeindungen in der Öffentlichkeit sollte dem NDK die finanzielle Grundlage entzogen werden. Dabei blieben die Anfeindungen nicht nur verbaler Natur: Nach einem Fußballspiel des ATSV Frisch Auf Wurzen gegen Roter Stern Leipzig im Mai 2019 griffen mehrere vermummte Personen den Sitz des NDK an, zerstörten mehrere Kameras und warfen Bierflaschen gegen die Fassade. Einer der Angreifer kandidierte zur Stadtratswahl im Mai desselben Jahres für das NFW.

Das Spektrum aufrechter Demokraten – Verein für Meinungsfreiheit und Demokratieförderung e. V. (SAD) um Sandro Oschkinat aus Audenhain (Ortsteil von Mockrehna) ist seit Ende 2015 aktiv. Der mittlerweile auch als „sozialpatriotische Bürgerbewegung“ auftretende Verein verfolgt einen Querfrontansatz und wendet sich explizit an „deutsche Arbeiter, Demokraten, Patrioten und Friedensaktivisten“. Ein Motto lautet „Weg von Links und Rechts, hin zum Verstand!“.

Oschkinat saß bereits für die „Freien Wähler“ im Gemeinderat von Mockrehna, versuchte sich kurzzeitig bei der AfD, um 2021 schließlich zur Bundestagswahl als Einzelbewerber für das SAD anzutreten, mit dem mageren Ergebnis von 0,9 Prozent.

Der Verein verfügte über ein Büro in Torgau und erlangte im September 2017 mit einer Protestaktion gegen den Besuch der Bundeskanzlerin Angela Merkel in Torgau bundesweite Aufmerksamkeit. Der Verein fällt immer wieder durch Provokationen, unter anderen in den sozialen Medien, auf. So wird im November 2020 auf Facebook die Außerkraftsetzung von Grundrechten durch die sogenannte Reichstagsbrandverordnung 1933 mit den aktuellen Infektionsschutzgesetzen und Maßnahmen gleichgesetzt und damit der historische Nationalsozialismus verharmlost. Im gleichen Monat interviewt der als „Volkslehrer“ auftretende Video-Blogger Nikolai Nerling den SAD-Vereinsvorsitzenden Oschkinat. Nerling vertritt in seinen Videos antisemitische Positionen und leugnet den Holocaust.

3. Parteiungebundene extreme Rechte

3.1. Vereinigte Nationalisten Leipzig                            

Unter der Bezeichnung Vereinigte Nationalisten Leipzig (VNL) führen einige wenige junge Neonazis seit Sommer 2021 Propagandaaktionen durch und nehmen an Demonstrationen teil. Die Vielzahl an Graffiti und Schmierereien täuscht dabei über die eigentliche Größe und den Organisierungsgrad der Gruppierung hinweg: Tatsächlich handelt es sich bei den VNL um einzelne Personen und wenige mehr, die sich das Label beispielsweise auf Instagram anhaften. Eine Koordinierung oder ein Zusammenschluss verschiedener neonazistischer Gruppierungen, wie es der Name suggeriert, ist nicht zu beobachten. Erstmals in Erscheinung traten die VNL am 10. Juli 2021. Dort entrollten einige junge Personen ein Transparent mit der Aufschrift „VNL Anti-Antifa-Zone“ an einem leerstehenden Bahnhofsgebäude in Stötteritz. Das Thema „Anti-Antifa“ ist für die VNL bis heute beherrschend: Sowohl auf den Stickern als auch auf den zahlreichen Schmierereien im Stadtgebiet wird sich verbal und visuell an Antifaschist*innen abgearbeitet. In Schriftzügen wird ein „nationalsozialistischer Kiez“ beansprucht, dazu aufgerufen „Zecken“ zu jagen oder bekanntere Antifaschist*innen namentlich genannt und aufgefordert, diese zu töten. Die teilweise selbst entworfenen Sticker enthalten mitunter klassische Neonazimotive, wie Reichsflaggen, als auch explizite Tötungsdarstellungen. Kleinere Sticker- oder Transpiaktionen der VNL werden auf einem europaweit rezipierten rechten Telegramkanal geteilt. Der Instagram-Account der VNL hingegen verfügt nur über eine geringe Reichweite. Dabei betonen die Neonazis, die sich überall auf Social-Media markieren und verlinkt werden, in einer Drohnachricht von August 2021 an chronik.LE, dass diese chancenlos gegen ihre stets wachsende Gruppierung seien. Ein Wachstum der Gruppierung bleibt jedoch aus. Hauptfigur und verantwortlich für einen Großteil der Schmierereien ist ein Anfang 20-Jähriger aus Grünau. Teilweise trat dieser mit weiteren jungen Neonazis bei Demonstrationen der „Bürgerbewegung Leipzig“ 2021 und bei Neonazi-Demonstrationen auf. Auf Fotos, mit denen die „Jungen Nationalisten“ Kleidung mit dem Aufdruck „Messestadtaktivisten“ bewerben, war er ebenfalls zu sehen.

3.2. Identitäre Bewegung

Die Identitäre Bewegung (IB) tritt betont jugendlich und popkulturell auf. Ihre rassistischen Positionen werden dabei aktionistisch verpackt und meist fotografisch und/oder filmisch dokumentiert und für Social-Media-Kanäle genutzt. Ihre Ideologie begründet sich im sogenannten Ethnopluralismus. Diese kulturrassistische Argumentation geht davon aus, dass es unterscheidbare und homogene Kulturkreise gäbe, die durch Migration bedroht seien.

Die IB kommt ursprünglich aus Frankreich, seit 2012 ist sie auch in Deutschland vertreten. In Leipzig geben sich Identitäre erstmals im November 2015 als „Elsterfunken“ mit dem Verkleben von Stickern zu erkennen. Nach der Ausrufung eines „Identitären Jahres“ finden ein paar Aktionen statt, jedoch werden wenige Monate ihre Online-Präsenzen gelöscht und sie verschwinden vorerst von der Bildfläche. Seit Sommer 2016 treten sie im Leipziger Stadtraum sowie im Umland als „Identitäre Bewegung Leipzig“ vor allem durch Transparent- und Propagandaaktionen in Erscheinung. Dabei werden besonders Themen um Migration und Flucht rassistisch inszeniert und instrumentalisiert. Dies geschieht allerdings mit einem vermeintlich gesellschaftlich anschlussfähigeren Framing, als es bei klassisch neonazistischer Propaganda der Fall ist. Mitglieder der IB nutzen immer wieder Standorte der Universität Leipzig und anderer Leipziger Hochschulen als Kulisse für ihre Aktionen. Sei es, um dort die Aufmerksamkeit Studierender zu erlangen oder um ihre Aktionen im Nachhinein auf ihren Social-Media-Kanälen als studentisch auszugeben. Gesicht der Leipziger Identitären ist Alexander „Malenki“ Kleine. Gemeinsam mit Philipp Thaler (IB Halle) bespielte er den YouTube-Kanal „Laut gedacht“, der zwischenzeitlich rund 55.000 Abonnent*innen erreichte. Mittlerweile sind die Videos gelöscht. Aktuell betreibt Kleine unter anderem das Medienunternehmen „Tannwald Media“ (siehe unten).

Das Logo der „Identitären“, der griechische Buchstabe Lambda in schwarz und gelb, ist als Graffiti oder in Form von Stickern oder Plakaten immer wieder im Stadtraum Leipzig präsent. Seit der Löschung ihrer Social-Media-Accounts im Juli 2020 aber tritt die IB nur noch selten durch Aktionen in Erscheinung, was auf einen zunehmenden Bedeutungsverlust der angeblichen Bewegung schließen lässt.

Ab November 2020 zeichnet sich aber eine Art Neustart der Social-Media-Kanäle ab. Unter zunächst unverfänglich erscheinendem Namen wird ein Instagram-Account angelegt und eine neue Telegram-Gruppe gegründet. Während IB-Akteur*innen bis dato mit Klarnamen und Gesicht auftraten, zeigen sich die Mitglieder nun (wieder) nur noch maskiert. Ob die Aktionen von den gleichen Akteur*innen durchgeführt oder die Online-Präsenzen von denselben Personen bespielt werden, ist unklar, ebenso wie viele Personen beteiligt sind. Dies ist vermutlich durch die Strategie der Maskierung beabsichtigt. Eine der sehr wenigen Propaganda-Aktionen der letzten Jahre fand im Oktober 2021 vor der Universität Leipzig statt. Dabei wurde außerhalb des Campus ein Transparent mit der Parole „Linksextremismus raus aus der Uni!“ angebracht sowie Flyer der IB hinterlassen. Mit der Aktion sollte an eine Auseinandersetzung rund um die „Kritischen Einführungswochen“ (KEW) an der Universität und weiteren Hochschulen Leipzigs angeknüpft werden.

3.3. Burschenschaft Germania

Die pflichtschlagende Leipziger Burschenschaft Germania ist neben etwa 66 weiteren Verbindungen Mitglied des völkisch-nationalistischen Dachverbands „Deutsche Burschenschaft“ (DB) und tritt unter den Farben des Deutschen Reichs, schwarz, weiß und rot, auf. Über ihre mittlerweile spärlich ausgebaute Online-Präsenz gibt sich die Verbindung traditionsbewusst und verweist auf ihre zentralen Prinzipien: „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Die „Germania“ beansprucht für sich, eine „freiheitlich-konservative Grundhaltung“ zu vertreten. Ein Blick auf die Webseite sowie einschlägige Mitglieder und Ereignisse in den letzten Jahren offenbaren jedoch ein anderes Bild: Zwei Mitglieder der Germania kandidierten oder vertraten in den 2000er Jahren die extrem rechten Parteien NPD oder „PRO Chemnitz.DSU“ (vormals „Die Republikaner“) auf kommunaler Ebene in Chemnitz und dem Landkreis Leipzig. Unter den Mitgliedern der Burschenschaft findet sich außerdem Paul Rzehaczek aus Eilenburg, Bundesvorsitzender der JN. Zudem fielen Mitglieder in der Vergangenheit durch rassistische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Aussagen auf.

Auch heute zeugen die selbstformulierten Prinzipien der Burschenschaft von einem rassistischen Weltbild. Nicht zuletzt offenbarte sich die politische Gesinnung einiger Mitglieder im Jahr 2020. So bauten einige „Alte Herren“ seit 2015 ein Prepper-Netzwerk auf und bereiteten sich auf einen „Rassenkrieg“ sowie den sogenannten „Tag X“ vor. Dafür diskutierten sie in Facebook-Chats und per E-Mail unter anderem über vorbereitende Maßnahmen, wie die Beschaffung von Lebensmitteln und Waffen. Zudem wiesen sie einen Zufluchtsort in Beuden aus, von dem aus sie nach Anbruch des „Tag X“ agieren könnten. Einige der „Alten Herren“, die am Aufbau des Netzwerkes beteiligt waren, sind Bundeswehr-Reservisten, bekleiden Ämter als Juristen oder waren zu der Zeit für die AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt tätig.

3.4 Weitere Burschenschaften

Mehrere Personen der christlichen Burschenschaft Alemannia Leipzig mit der Losung „Gott, Freiheit, Vaterland“ arbeite(te)n im parlamentarischen Betrieb für die AfD. Auf der Webseite der Burschenschaft wird Philip Liehs als Verantwortlicher für deren Bankverbindung angegeben. Liehs war bis zur Selbstauflösung 2018 Vorstandsmitglied der „Patriotischen Plattform“, des Rechtsaußenflügels innerhalb der AfD um Björn Höcke und Hans-Thomas Tillschneider. Zudem war er Medien- und Pressebeauftragter des AfD-Kreisverbandes Nordsachsen. Außerdem betreibt er den erzkonservativen „Renovamen Verlag“ (siehe unten).

Die pflichtschlagende Burschenschaft Dresdensia Leipzig, Mitglied des völkisch-nationalistischen Dachverbands „Deutsche Burschenschaft“, ist seit 2015 wieder in Leipzig ansässig. Mehrere Landtagsabgeordnete bzw. Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion bis 2014 sind „Alte Herren“ der damals noch in Hessen verorteten Verbindung. Auf ihrem Instagram-Account wird sich gegen Impfungen positioniert und sich auf vermeintlich germanisches Brauchtum des Julfests bezogen. Zur Sommersonnenwende 2021 verbrannten die Mitglieder ein Radkreuz, gepostet mit der Bildunterschrift „,Heil den hell lodernden Flammen […]. Wird eins ein ewiges Reich erblüh’n!‘.“ Wie auch andere extrem rechte Burschenschaften legen Mitglieder der Verbindung anlässlich des „Volkstrauertages“ jährlich im November einen Trauerkranz auf dem Südfriedhof nieder. Außerdem wird die neonazistische Erzählung eines „alliierten Bombenterrors“ auf Dresden bedient.

Die Burschenschaft Arminia zu Leipzig ist eine der am weitesten rechts außen stehenden Verbindungen in Leipzig. Die pflichtschlagende Burschenschaft (DB Mitglied) zählt unter anderem den Mitbegründer der extrem rechten Vereinigungen „PRO Chemnitz“ und „Freie Sachsen“ Martin Kohlmann zu ihren „Alten Herren“. Über den Instagram-Account der Verbindung, die seit 2016 zudem über einen aktiven Ableger in Dresden verfügt, war zu den rassistischen Protesten im Spätsommer 2018 in Chemnitz mobilisiert worden. Wie andere neonazistische Gruppierungen legen auch Mitglieder des Gohliser Männerbundes jährlich zum „Volkstrauertag“ Kränze auf dem Leipziger Südfriedhof nieder. Bei diversen internen Veranstaltungen zeigt die Verbindung zudem ihre inhaltliche als auch personelle Nähe zur Neuen Rechten.

4. Subkultur

4.1. Fanszene Lok Leipzig

In langer Tradition gibt es beim Fußballverein 1. FC Lokomotive Leipzig eine rechte Fanszene, die in Teilen klar neonazistisch dominiert ist. Seit der Selbstauflösung der vom Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ eingestuften Fangruppe Scenario Lok 2014 etablierte sich die Fanszene Lokomotive als Sammelbecken verschiedener, teils extrem rechter Personen und Gruppierungen. Die extrem rechten Netzwerke und Verbindungen in der Fanszene von „Lok Leipzig“ sind jedoch trotz der Auflösung von „Scenario Lok“ weiter intakt.

Beim koordinierten Neonaziangriff auf das Stadtviertel Connewitz im Januar 2016 waren ältere Lok-Hooligans ebenso beteiligt wie ehemalige Mitglieder von „Scenario Lok“ und sehr junge Personen aus der Fanszene des Vereins.

Mit der Banda Resoluta ist in den vergangenen Jahren zudem eine Gruppe an der Schnittstelle von Ultra-Kultur und Hooliganismus entstanden, die sich vor allem im Leipziger Stadtviertel Stötteritz zu etablieren versucht. Ihre Mitglieder sind zum Teil in extrem rechte Kampfsportnetzwerke in Leipzig und dem Landkreis eingebunden und mindestens eine Person kämpfte in der Vergangenheit beim neonazistischen Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“. Andere Personen trainierten beim extrem rechten „Imperium Fight Team“ (IFT) rund um den Lok-Hooligan Benjamin Brinsa.

Der Rückhalt, den extrem rechte Gewalttäter in Teilen der Lok-Fanszene genießen, zeigte sich nach einem rassistischen Überfall auf einen senegalesischen Türsteher während eines Urlaubs von Lok-Fans auf der Insel Mallorca 2019. Zwei junge Kampfsportler aus der Fanszene verletzten den Security-Mitarbeiter derart schwer, dass dieser lebensbedrohlich verletzt wurde. Im Nachgang wurde für die beiden Täter eine Party veranstaltet und T-Shirts mit dem glorifizierenden Slogan „Troublemakers Mallorca“ gedruckt, um sie finanziell zu unterstützen.

Zusammenfassend lässt sich für die vergangenen Jahre die Integration einer jüngeren Generation von Lok-Fans in bestehende extrem rechte Netzwerke beobachten. Damit verbunden ist außerdem eine zunehmende Verschränkung von extrem rechter Fanszene und Kampfsportstrukturen. Durch die Verbindungen zum IFT hat die bereits bestehende extrem rechte Hooliganszene eine Professionalisierung erlebt und scheint insbesondere für junge Männer attraktiv.

4.2. Rechte und rechtsoffene Gyms

Das Bushido Freefight Team/ Bushido Sports Center um den verschwörungsideologischen Headcoach Marko Zschörner ist Anlaufpunkt für eine Bandbreite von Kampfsportler*innen und Fitnessinteressierten. Von Mitte der 2000er an war das „Bushido Freefight Team“ von „klassischen“ Kampfsportlern aus Neonazi-, Hooligan- und Türsteherszene dominiert und Veranstalter zahlreicher Kampfsportevents in Ostdeutschland. Seit einigen Jahren spricht das Gym – vor allem mit seinem zweiten Standort im „Paunsdorf Center“ und mit der Umbenennung zum „Bushido Sports Center“ – auch Kinder, Familien und Sicherheitsbehörden für Trainings an. Ein Kern an Neonazikampfsportlern ist jedoch ebenso zu beobachten wie nationalistische Positionierungen des Headcoachs auf Social-Media und Teilnahmen an verschwörungsideologischen Demonstrationen.

Beim Imperium Fight Team (IFT) handelt es sich um ein überregional bekanntes und vernetztes Kampfsportteam, das aus der Neonazi- und Hooliganszene des 1. FC Lokomotive Leipzig entstand. Mitglieder des IFT um den Headcoach und Wurzner Stadtrat Benjamin Brinsa traten unter anderem beim Angriff auf Connewitz 2016, den neonazistischen Ausschreitungen in Chemnitz 2018 und dem lebensbedrohlichen, rassistisch motivierten Angriff auf einen Türsteher auf Mallorca 2019 in Erscheinung. Die Trainingsorte des IFT befanden sich in Eilenburg, bis 2020 im ehemaligen Frauen-Konzentrationslager in der Kamenzer Straße in Leipzig und mittlerweile in Taucha.

Seit 2021 – kurz nach dem Auszug des IFT – hat das Sin City Boxgym seinen Standort im Gebäudekomplex des ehemaligen Frauen-KZ in der Kamenzer Straße eröffnet. Das Gym versucht sich mit der Behauptung, seinen Sitz in einer angeblichen Hausnummer 12a zu haben, seiner Verantwortung zu entziehen. Das Gebäude mit der Hausnummer 12 war der Unterbringungsort der Zwangsarbeiterinnen während des Nationalsozialismus. Die Immobilie selbst gehört einem Neonazi. Zahlreiche Sponsoren des Teams weisen auf eine Nähe zum Rotlichtmilieu hin. Der Headcoach Maik K. arbeitete als Türsteher in einer einschlägigen Immobilie in der Großen Fleischergasse in Leipzig, von der aus beispielsweise während einer antifaschistischen Demonstration „NSU, NSU“ skandiert wurde.

Der Kampfsportklub kurz KSK 09 dient vor allem Angestellten des Sicherheitsunternehmens Pro GSL als Ertüchtigungsort. Der KSK 09 richtete im Februar 2018 gemeinsam mit „Black Rainbow Security“ im Club SAX in Dölzig das Kampfsportevent „Ostdeutschland kämpft“ aus. Daran nahmen unter anderem Neonazi-Kampfsportler des „Bushido Free Fight Team“ teil. Das Unternehmen Pro GSL hat seinen Sitz in einer einschlägigen Immobilie in der Großen Fleischergasse, welche in der Vergangenheit immer wieder als Anlauf- und Sammelstelle für Neonazis und Hooligans diente.

4.3. Rechtsrock

Veranstaltungsorte

In Nordsachsen befindet sich seit 2008 mit dem ehemaligen Gasthof im Torgauer Ortsteil Staupitz einer der wichtigsten Veranstaltungsorte für Neonazi-Konzerte in Sachsen. Behördlich beauflagt dürfen hier pro Jahr zehn Konzerte mit jeweils maximal 239 Personen stattfinden. Zu diesen wird in der Regel nur konspirativ eingeladen. Aufgrund der Corona-Pandemie waren zuletzt nicht ganz so viele Veranstaltungen möglich. Staatliche Behörden haben 2020 fünf und 2021 sieben Konzerte in Staupitz registriert, mit überregional bekannten Bands wie „Endstufe“, „Frontalkraft“, „Die Lunikoff Verschwörung“, „Confident of Victory“ oder „Uwocaust und Helfershelfer“. Aber auch Bands aus Leipzig und Umgebung wie „Volksnah“, „Thematik 25“, „Odessa“ (alle Leipzig), „Feindnah“ (Wurzen) und „Neubeginn“ (Raum Torgau) sind 2020 und 2021 hier aufgetreten.

Im Landkreis Leipzig wird bereits seit vielen Jahren ein alter Steinbruch im Grimmaer Ortsteil Roda unregelmäßig von Neonazis für Veranstaltungen genutzt, u.a. für „Sommerfeste“ der NPD. Auch der ehemalige Sänger der verbotenen Band „Landser“, Michael Regener, ist hier bereits mehrfach mit seinem Projekt „Die Lunikoff Verschwörung“ zu „Sommerfesten“ aufgetreten. Veranstalter dafür ist sein Leipziger Label „Herrmannsland-Versand“. In Wurzen fand im August 2019 in einem Veranstaltungsobjekt in der Dresdner Straße ein Konzert der Neonazi-Hooligan-Band „Kategorie C“ statt.

Bands

2021 sind drei bereits seit längerem aktive Rechtsrock-Bands aus Leipzig mit neuen Veröffentlichungen oder Konzerten in Erscheinung getreten: Die seit 2011 bestehende Band Volksnah mit dem Album „Es ist soweit“ bei „PC Records“ aus Chemnitz, Thematik 25 (seit 2008) und Odessa (eine gleichnamige Band wurde 1995 gegründet, 2008 neu formiert als „Shed No Tears“) mit Auftritten in Staupitz. In Leipzig soll auch der Gitarrist der seit 2007 bestehenden Band Flak aus Rheinland-Pfalz wohnen. Unter dem Namen Ethos hat er 2020 ein Solo-Projekt gegründet und das Album „Zeitgeist“ auf dem Label „Gjallarhorn Klangschmiede“ (ehemals Lossatal, seit 2020 in Thüringen) veröffentlicht. Der Frontmann von „Flak“ hat daran als Gastsänger mitgewirkt.

Die Band Feindnah aus Wurzen (Landkreis Leipzig) ist seit mindestens 2018 aktiv (Veröffentlichung eines Demos). Sie tritt seit 2019 bei Neonazi-Veranstaltungen wie dem „Tag der nationalen Bewegung“ in Themar auf und bemühte sich dabei, die Identität ihrer Mitglieder zu verbergen. Trotzdem wurde bekannt, dass die Musiker aus Wurzen stammen und zuvor teilweise bei der seit 2008 bestehenden „Terror Crew Muldental“ aktiv waren. Gegen diese Neonazi-Gruppierung wurde nach mehreren Angriffe wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Im Juli 2011 informierte der sächsische Verfassungsschutz in einer Veröffentlichung „versehentlich“ über dieses Verfahren. Die Ermittlungen wurden nach der darauf folgenden Selbstauflösung der Gruppe schließlich 2015 ohne Ergebnis eingestellt. Die Band „Feindnah“ veröffentlichte 2019 das Album „Odyssee“, 2021 folgte das Album „Avandgarde“ beim Chemnitzer Label „PC Records“.

Aus dem Raum Torgau (Nordsachsen) ist die Band Neubeginn bekannt. Sie ist zuletzt im September 2020 in Staupitz aufgetreten.

5. Verlage, Versandhandel und andere Unternehmen

Der 2014 gegründete Schelm-Verlag von Adrian Preißinger hat seinen offiziellen Sitz laut Impressum im Jahr 2019 nach Tschechien, mittlerweile nach Thailand verlegt. Davor war der Verlag in Leipzig-Gohlis ansässig. Er vertreibt u. a. offen antisemitische und nationalsozialistische Schriften wie Hitlers „Mein Kampf“. Einer Reportage des NDR-Formats „STRG_F“ vom Februar 2020 ist zu entnehmen, dass die Bestellungen nach wie vor von Leipzig aus abgewickelt wurden. Konkret über einen Hermes-Paketshop in der Coppistraße. Daran wirkt laut den Aufnahmen u. a. der ehemalige NPD-Stadtrat Enrico Böhm mit. Böhm betreibt mit Lokis Truhe einen eigenen Online-Shop. Die Leipziger Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2016 gegen die Verantwortlichen des „Schelm-Verlages“, u. a. wegen Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, bisher ohne Ergebnis. Im Dezember 2020 fand eine Razzia im Rahmen von Ermittlungen gegen den Verlagsinhaber statt, bei dem Lagerräume des Verlags in Leipzig und im Landkreis Leipzig sowie zwei Wohnungen in Leipzig durchsucht wurden.

Phillip Liehs, Mitglied der „Burschenschaft Alemannia zu Leipzig“, betreibt den christlich-fundamentalistischen Kleinstverlag Renovamen. Im Verlagssortiment wird reaktionäre Literatur zu innerkatholischen Debatten vertrieben, zum Beispiel Bücher über Bischöfe der sexistischen, homofeindlichen und antisemitischen „Pius-Brüderschaft“. Es gibt einen kolonialistischen Schwerpunkt zu „Deutsch Südwestafrika“ (das heutige Namibia). Dazu vertreibt der Verlag ein breites Spektrum an Vordenkern der Neuen Rechten, darunter Armin Mohler und Karlheinz Weißmann, die in neurechten Verlagen erschienen sind, darunter „Antaios“, „Sezession“, „Jungeuropa Verlag“ und der „Ares Verlag“. Die Anschrift des Verlags ist in Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt unweit des Landkreises Nordsachsen. Als Telefonnummer wird auf der Webseite eine Leipziger Vorwahl angegeben. In einem Beitrag auf der Webseite des Verlags wird katholische Theologie mit neurechtem Gedankengut in Bezug auf Migration verknüpft. So gäbe es eine christliche Verpflichtung Geflüchteten unabhängig ihrer Herkunft zu helfen, allerdings sei diese auf die Erfüllung von Grundbedürfnissen beschränkt und könne zugunsten des Gemeinwohls, gemeint ist der Nationalstaat, aufgegeben werden. Die ideale Gesellschaftsordnung bilde allerdings die „mittelalterliche Christenheit“ ab, die universell sei, „nur Mohammedaner und Juden wurden als Fremde erachtet“, da sie nicht getauft waren. Eingeführt wird der Beitrag mit einem Zitat von Papst Pius XII, indem die Eigenheiten der Völker als „heiliges Erbe“ bezeichnet wird, dass es zu „bewahren“ gilt.

Über den Versandhandel Hermannsland-Versand werden unter anderem die Tonträger der Neonazi-Band „Die Lunikoff Verschwörung“ vertrieben. Bei einigen Veröffentlichungen der Band wird der Versandhandel als Label aufgeführt. Neben der Webseite gibt es seit Februar 2018 einen Telegram-Kanal (4.500 Abonnent*innen, Stand März 2022), in dem Artikel beworben und „Infos (wie Neuerscheinungen, Konzerttermine oder Balladenabende etc.) rund um Luni“ geteilt werden. Lunikoff („Luni“) ist der Spitzname des neonazistischen Musikers Michael Regener. Er war u. a. Gitarrist und Sänger der im Jahr 2003 als kriminelle Vereinigung verbotenen und aufgelösten Band „Landser“. In jüngster Zeit wird auf dem Kanal aber vor allem neonazistische und verschwörungsideologische Propaganda gepostet. Nils Larisch ist der Inhaber des Onlinehandels. Er war am NPD-Zentrum in der Leipziger Odermannstraße beteiligt und ist ein bekanntes Gesicht der neonazistischen Hooligan-Szene.

Über fast 20 Jahre war das Neonazi-Label Front Records aus Wurzen bzw. Lossatal eine der wichtigsten Vertriebsstrukturen für Neonazi-Musik in Sachsen. Gegründet wurde das Unternehmen von einem aus Schildau in Nordsachsen stammenden Neonazi. Der Standort und die Rechtsform haben über die Jahre immer wieder gewechselt. Von 2004 bis etwa 2010 war „Front Records“ in der Walther-Rathenau-Straße in Wurzen gemeldet. Danach wurde der offizielle Sitz auf ein Grundstück im nahegelegenen Falkenhain (Lossatal) verlegt. Als Inhaber des Labels firmierten ab 2010 nacheinander einige Unternehmen mit ähnlich klingenden Namen wie Falkenhainer Textil UG, Muldentaler Texil UG und Küsten Textil UG. Letztere ist vor kurzem nach Artern im Kyffhäuserkreis (Thüringen) umgezogen, zusammen mit den verbandelten Labels „Frontmusik / Gjallarhorn Klangschmiede“ und „Wewelsburg Records“ aus dem Umfeld der Hammerskins. Inwiefern die Produktion bzw. der Versand der über „Front Records“ gehandelten Produkte weiterhin über die früheren Standorte in Wurzen oder Falkenhain erfolgt, ist unklar. Das geschäftliche Know-How und die über die Jahre angehäuften Gewinne bleiben der Region aber vermutlich erhalten.

Der langjährige Kader der „Identitären Bewegung“ (IB) aus Leipzig, Alexander Kleine („Malenki“), ist seit Ende 2019 für ein Unternehmen namens Tannwald Media UG verantwortlich. Die Agentur bietet nach eigenen Angaben Graphikdesign, Videoproduktion und die Erstellung von Webseiten an. Kleine ist seit mehreren Jahren als rechter Influencer aktiv, u. a. mit dem Youtube-Format „Laut gedacht“ (zusammen mit Philip Thaler aus Halle). Vor der Bundestagswahl 2021 soll das Unternehmen für die Gestaltung einer bundesweiten Negativkampagne gegen die Grünen beteiligt gewesen sein. Es wird geschätzt, dass die Bezahlung des Auftrags eine halbe Million Euro betrug.

Mit der Polit Media UG ist in Leipzig seit Kurzem ein AfD-nahes Unternehmen ansässig, das für die Partei u. a. Webseiten erstellt und IT-Infrastruktur betreibt. Als Referenzen werden u. a. die AfD-Fraktion Brandenburg, die AfD Baden-Württemberg und die AfD Bayern genannt. Die Firma stammt ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen. Aktueller Sitz ist der Leipziger Ortsteil Miltitz. Der Geschäftsführer der Firma hat 2019 bei der Stadtratswahl in Halle für die AfD kandidiert und war zeitweise Mitglied im Bundesvorstand der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“.

Seit 2005 werden unter Abwandlungen des Namens NuoViso verschwörungsideologische und esoterische Inhalte aus Leipzig verbreitet. Der YouTube-Kanal „NuoViso.TV“ hat 250.000 Abonnent*innen (Stand März 2022). Das hinter dem Medienprojekt stehende Unternehmen „Höfer, Höfer & Swoboda GbR“ hat seinen Sitz in der Leipziger Südvorstadt. Das inhaltliche Spektrum, das seit 2021 auf einer eigenen Medienplattform „NuoFlix“ abgerufen werden kann, reicht von Verschwörungserzählungen, der Leugnung des Klimawandels, Esoterik bis hin zur Diskussion aktueller Schlagzeilen. „NuoViso“ begleitete auch im Jahr 2020 die Coronaproteste mit Liveberichten, Diskussionsrunden und Interviews. Auf der neuen Plattform „Nuoflix“ wird ein umfangreiches Angebot an Dokumentationen, Filmen oder selbstproduzierten Shows angeboten, darunter seit Herbst 2021 das Talkformat des Kabarettisten Uwe Steimle „Ruderboot“.

Pro GSL Security ist ein in Leipzig ansässiges Sicherheitsunternehmen, das von den beiden Geschäftsführern Oliver R. und Tobias B. geführt wird. Tobias B. war am Angriff auf Connewitz im Januar 2016 beteiligt und wurde am 23. März 2021 wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer elfmonatigen Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt. Damals hatten ca. 250 Neonazis während einer Demonstration des Leipziger Pegida-Ablegers Legida das Stadtviertel Connewitz angegriffen. Oliver R. war als Ordner bei Legida aktiv, zudem fanden Ermittler auf einem Computer die Titelmelodie von „Paulchen Panther“, die unter das Bekennervideo des NSU gelegt wurde. Den Computer hatte R. von einem Geschäftspartner eingefordert. Das Unternehmen geriet im Oktober 2021 in die Schlagzeilen, da sie von einem Leipziger Hotel nach dem Vorwurf eines antisemitischen Vorfalls eines Mitarbeiters engagiert wurde. Aufgrund der oben genannten Verbindungen in die extreme Rechte prüft die Stadt Leipzig derzeit die Gewerbezulassung von „Pro GSL Security“.

6. Die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen

6.1. Entwicklung des Protestgeschehens

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie in Deutschland im März 2020 demonstriert die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Verbindende Elemente der heterogenen Protestbewegung ist die Skepsis beziehungsweise Feindschaft gegenüber Medien, Wissenschaft sowie politischen Institutionen und Aushandlungsprozessen. Dies wird, oftmals gepaart mit Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus, auf die Straße getragen.

Die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen ist heterogen und oftmals nicht mit klassischen Organisationsmerkmalen zu verstehen. In vielen Orten gibt es keine offizielle Gruppe oder Ansprechperson, die für Außenstehende das Protestgeschehen organisiert, vielmehr finden sich zahlreiche lose Zusammenhänge, welche sich auf der Straße treffen. Katalysator ist dabei der Messenger-Dienst Telegram, auf der zahlreiche Gruppen für die Region Leipzig existieren, in denen Informationen zu Protestaktionen sowie zahlreiche Falschnachrichten und Verschwörungsideologien verbreitet werden. Seit Mitte 2021 wird das Protestgeschehen durch die neonazistische Kleinstpartei „Freie Sachsen“ (siehe oben) professionalisiert.

Die ersten Veranstaltungen der Pandemie-Leugner*innen in Leipzig finden im April 2020 statt. Die Organisator*innen nennen sich nach dem Berliner Vorbild zunächst „Nicht ohne uns“, Anfang Mai 2020 ändern sie ihren Namen allerdings in Bewegung Leipzig. Der Beginn der Proteste in der Region ist geprägt von Diffusität und Offenheit, gleichzeitig lässt sich eine beginnende Organisierung beobachten. Im Laufe des Jahres 2020 kommt es zu einer Zentralisierung, die vor allem durch den Anschluss der „Bewegung Leipzig“ an das bundesweite Querdenken-Netzwerk vorangetrieben wird (zwischenzeitlicher Name „Bewegung Leipzig - Querdenken 341“). Höhepunkt ist die bundesweit beworbene Veranstaltung am 07. November 2020, an der eine fünfstellige Personenzahl teilnimmt. Als die zentrale Kundgebung auf dem Augustusplatz wegen fehlender Masken und Abstände polizeilich aufgelöst wird, setzen neonazistische Hooligans eine Demonstration auf dem Innenstadtring durch. Im Nachgang der Demonstration zerfällt die bisherige Organisationsstruktur. Die „Bewegung Leipzig“ organisiert seither nur noch einige wenige eigene Veranstaltungen. Im Januar 2021 tritt mit der „Bürgerbewegung Leipzig“ ein neuer Akteur die Bühne. Die „Bürgerbewegung“ tritt radikaler und aggressiver auf und wird vom ehemaligen NPD-Kader Volker Beiser angeführt. Die montäglichen Demonstrationen sind eher eingeübtes Ritual, an den Veranstaltungen nehmen zumeist weniger als 100 Personen teil.

Neben dem Protestgeschehen in der Stadt Leipzig kommt es auch im Leipziger Umland zu zahlreichen Demonstrationen. Diese werden teils durch lokale Neonazis und/oder die AfD unterstützt. Hervorzuheben sind die regelmäßigen Proteste entlang der Bundesstraße B107.

Einen Höhepunkt erreichte das Protestgeschehen im Januar 2022 als insgesamt 28 Veranstaltungen in der Region Leipzig an einem Montag angekündigt werden (Bad Lausick, Belgershain, Böhlen, Borna, Brandis, Colditz, Eilenburg, Delitzsch, Froburg, Grimma, Kitzscher, Leipzig-Böhlitz-Ehrenberg, Leipzig-Engelsdorf, Leipzig-Grünau, Leipzig-Innenstadt, Leipzig-Liebertwolkwitz, Leipzig-Lindenau, Leipzig-Plagwitz/Kleinzschocher, Leipzig-Schleußig, Leipzig-Stötteritz, Leipzig-Zentrum Nord, Machern, Markranstädt, Oschatz, Schkeuditz, Torgau, Wurzen, Zwenkau). Besonders der Leipziger Stadtteil Engelsdorf entwickelte sich in den vergangenen Monaten zu einem Schwerpunkt der Proteste in der Region.

6.3. Bewegung Leipzig

Die Bewegung Leipzig und ihre Vorgängerorganisationen „Nicht ohne uns“ demonstrieren seit April 2020 in Leipzig gegen die Corona-Maßnahmen. Nach der Übernahme (und dem späteren Ablegen) des Namenszusatzes „Querdenken 341“ und der Organisation der Großdemonstration am 07. November 2020 entfaltet die Gruppe nur noch wenig Außenwirkung. Die Gruppe stellt einen neuen, eher lose organisierten politischen Zusammenhang dar. Die Protagonist*innen der Gruppe sind vorher nicht politisch in Erscheinung getreten und lebensweltlich eher dem alternativen Spektrum zuzuordnen. Nichtsdestotrotz finden sich in Reden, Interviews und auf Plakaten immer wieder verschwörungsideologische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Bezüge. Seit Sommer 2020 verkaufte Merchandise-T-Shirts zeigen eine Marionette, welche sich selbst die Fäden durchtrennt – kombiniert mit dem Satz „Bewege dich selbst statt bewegt zu werden“. Auf den Demonstrationen ist der Anteil von Alternativen und Hippies auffällig.

6.4. Bürgerbewegung Leipzig

Die Bürgerbewegung Leipzig demonstriert seit Januar 2021 gegen die Corona-Maßnahmen in Leipzig. In dem bereits zu Beginn veröffentlichten Programm der Gruppe ist ein Bezug zur Reichsbürgerideologie erkennbar. Zentrale Forderungen sind „ein freies und souveränes Deutschland“ sowie „eine echte Verfassung, eine Politik vom Volke aus“. So soll die verfassungsrechtliche Grundlage der Bundesrepublik delegitimiert und darüber hinaus unterstellt werden, dass die Bundesrepublik von außen gelenkt und kontrolliert werde.

Die Teilnehmenden treten radikaler und aggressiver auf als bei Veranstaltungen der „Bewegung Leipzig“. Fester Bestandteil der Demonstrationen sind Neonazis, die auf das Kräftemessen mit politischen Gegner*innen aus sind. Mehrfach nahmen Neonazis der „Vereinigten Nationalisten Leipzig“ (siehe oben) an den Demonstrationen teil. Zentraler Protagonist ist der ehemalige NPD-Kader Volker Beiser. Der aus Rheinland-Pfalz stammende Beiser war dort zuvor Vize-NPD-Chef und Finanzverantwortlicher seines Landesverbandes.

Im November 2021 löst sich die „Bürgerbewegung“ nach internen Streitigkeiten faktisch auf.  Im Dezember 2021 wird sie vom sächsischen Verfassungsschutz offiziell als „extremistisch“ eingestuft.

7. Literaturhinweise

Dossiers https://chronikle.org/dossiers

2021:

  • Geschäftstüchtig und gewaltbereit. Ein Überblick zur rechten Mischszene in Wurzen.

  • Auswertung der Bundestagswahl 2021 in & um Leipzig.

  • Hummel, Steven / Zschocke, Paul: Die Bewegung der Pandemie-Leugner*innen in Leipzig, in: Corona-Monitor 2021 (Hg.): Corona und Gesellschaft. Soziale Kämpfe in der Pandemie. Mandelbaum, kritik & utopie, Wien.

  • Bundestagswahl in der Region Leipzig.

2020:

  • Hedtke, Christoph / Fröhlich, Julia: Die Coronaproteste in Leipzig – Eine heterogene Mischung selbsternannter Querdenker*innen.

2019:

  • Hetze mit Folgen. NFW-Stadtratskandidat am Überfall auf das NDK nach dem letzten Gastspiel des RSL in Wurzen beteiligt.

 

Leipziger Zustände https://chronikle.org/leipziger-zustaende:

  • Leipziger Zustände 2021, 2019, 2016, 2014, 2012.

  • Den Blick schärfen. Momentaufnahme zu rechten Strukturen & Verschwörungsideologien im LK Leipzig. Sonderausgabe Leipziger Zustände 2020.

  • Rechtsaußen in der Kommunalpolitik. Berichte und Analysen zur AfD in Leipzig & Umgebung. Sonderausgabe Leipziger Zustände 2020.

  • Geithainer Zustände. Sonderausgabe Leipziger Zustände 2019.

  • Nordsächsische Zustände 2012.

 

Weiterführende Literatur:

  • Datt, Thomas / Loboda, Daniel 2021: Rechtsradikale sorgten am Westin für Sicherheit. Erschienen bei MDR Aktuell.

  • Keller, Gabriela / Sachse, Jonathan / Lenz, Miriam / von Daniels, Justus 2021: Anti-Grünen-Kampagne: Mindestens eine halbe Million Euro aus anonymen Quellen. Erschienen bei correctiv.org.

  • Kulturbüro Sachsen e. V. 2020: Monitorium Rechts. Heft #03. Der III. Weg in Sachsen.

  • Kulturbüro Sachsen e. V. 2022: Monitorium Rechts. Heft #05. Die Freien Sachsen.

  • MDR Aktuell 2021: Leipzig erklärt Geschäftsführer von Sicherheitsfirma als unzuverlässig.

  • Potter, Nicholas 2021: Neue Stärke will von Erfurt aus Deutschland erobern. Erschienen bei belltower.news.

  • StudentInnen Rat der Universität Leipzig 2011: Getrennt in den Farben - vereint in der Sache? Argumente über Student*innen-Verbindungen und ein Blick in die Leipziger Szene.

Zuletzt aktualisiert am 24.04.2022